Matineen leiden oft darunter, dass die üblichen Promis, die aus den Medien bekannt sind, staatstragende Sonntagsreden für das Bildungsbürgertum halten. Die wohlsituierten Akademiker in der zweiten Lebenshälfte, aus denen sich das Stammpublikum solcher Podiumsdiskussionen und Vorträge rekrutiert, gönnen sich vor dem Restaurant-Besuch eine Portion Erbauung und Nachdenklichkeit.
Mit solchen Vorurteilen könnte man auch an die Diskussion unter dem philosophisch angehauchten Titel Die Kunst des Fragens herangehen. Die Berliner Festspiele luden am vergangenen Sonntag Mittag zu dieser Debatte ins Renaissance Theater ein, die zugleich die 25. Saison der Berliner Lektionen einläutete.
Dieser Matinee ist es jedoch gelungen, das Thema aus vielen, zum Teil sehr überraschenden Perspektiven zu Perspektiven zu beleuchten. Jakob Augstein, eloquenter Verleger der Wochenzeitung Freitag, die mit ihren undogmatischen und alternativen Standpunkten eine Bereicherung in der deutschen Presselandschaft ist, führte mit einer sehr guten Mischung aus Tiefgang und unterhaltsamer Ironie durch den Gedankenaustausch.
Mit der Auswahl der Podiumsteilnehmer hatten die Berliner Festspiele ebenfalls ein glückliches Händchen. Ihre drei interessanten und sich gut ergänzenden Zugänge zum Thema brachten folgende Fachleute ihres jeweiligen Metiers in das Gespräch ein: Anne Will, Talkshow-Gastgeberin in der ARD, die bis vor kurzem am Sonntag Abend den deutschen Wohnzimmern das Thema der Woche nahebrachte, jetzt aber auf den Mittwoch weichen musste, weil im Ersten nach dem Tatort jetzt stern-tv läuft, plauderte aus dem Nähkästchen. Sie erklärte, wie seine optimale Runde "baut" (1 x Ja, 1 x Nein, 1 x Ja, aber, 1 x Nein, aber und eine fünfte Position, meist als Betroffener), wie sie an ihrer wichtigen Eröffnungsfrage feilt und dass die Grundstruktur der Sendung aus drei Leitfragen bestehen sollte. Mit konkreten Beispielen, z.B. Auftritten von Herrn Ackermann, der sich aber kaum noch öffentlichen Debatten stellt, und weiteren Runden zur Finanz- und Schuldenkrise refelektierte sie über gelungene und weniger gelungene Sendungen.
Rüdiger Safranski war für den philosophischen Blick zuständig und rekurrierte immer wieder auf die sokratische Frage, auf Heidegger und die großen Denker der Aufklärung. Spannend war seine noch differenziertere Sicht darauf, wie eine Fernseh-Talkshow am besten gelingen kann. Als Peter Sloterdijks die Wogen glättender Co-Gastgeber im Philosophischen Quartett, das mehrmals pro Jahr spätabends am Sonntag im ZDF ausgestrahlt wird, hat er auf diesem Gebiet ebenfalls praktische Erfahrungen. Die größte Herausforderungen für jeden Moderator ist, dass im Regelfall die Gäste 60 oder 90 Minuten lang nur ihre jeweilige "Meinung bewirtschaften", wie er unter beifälligem Nicken von Kollegin Anne Will plastisch darlegte. In Sternstunden gelingt es, wirkliches Nachdenken und das Aufbrechen von vorgefestigten starren Meinungen und Fronten im Gespräch reifen zu lassen. Dazu muss der Gesprächsleiter aber das Risiko eingehen, dem Momentum des Gesprächs seinen Lauf zu lassen, ohne aber den roten Faden zu verlieren.
Neben diesen beiden recht bekannten Köpfen war der dritte Diskutant eine echte Bereicherung für die Runde. Der Würzburger Volkswirtschafts-Professor Karl-Heinz Brodbeck, setzte mit buddhistischer Gelassenheit und hintergründigem Witz kluge Kontrapunkte zum Mainstream-Mantra seiner in den Medien dauerpräsenten Kollegen Hans-Werner Sinn und Co. Seinen Ausführungen zu den Prämissen des neoklassischen Menschenbilds der Ökonomen und zu seinem Interessenschwerpunkt, der Kreativitätsforschung, hätte das Publikum gerne noch länger zugehört.
Dementsprechend war auch das Fazit eines älteren Ehepaars auf dem Weg zum Ausgang nachvollziehbar, dass dies die wohl beste Berliner Lektion war, die sie erlebt haben.