Die Kollegin bei Nachtkritik hat es schon am Premierenabend im April 2012 geschrieben: Michael Thalheimers Medea-Inszenierung am Frankfurter Schauspielhaus muss zum nächsten Berliner Theatertreffen eingeladen werden. Auch die Feuilletons von Stadelmeier in der FAZ bis zur taz waren unisono von der archaischen Wucht dieser Inszenierung begeistert.
Zur Eröffnung des 50. Berliner Theatertreffens machte das Festival sich und seinem Publikum das Geschenk, die Inszenierung auch im Berliner Festspielhaus an zwei Abenden (Freitag, 3. Mai und Samstag 4. Mai) zu zeigen, Medienpartner 3sat strahlte die Inszenierung am Samstag ebenfalls auf. Thalheimer und sein Team setzen ganz auf die Macht der Worte, Euripides Tragödientext hallt durch Olaf Altmanns fast leere Bühne, ohne Requisiten, Schnickschnack und psychologische Deutungen. Oft wurde Medea in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten symbolisch als Frau, die sich gegen männliche Herrschaftsverhältnisse wehrt, oder als Migratin, die in der fremden, feindlichen Umgebung ausgestoßen wird, gedeutet. Auch diese Interpretationen haben ihren Reiz, wie Christa Wolfs Roman Medea: Stimmen 1996 zeigte. Thalheimer geht bewusst einen anderen Weg und reduziert den Text auf seinen Kern.
Schon die ersten Minuten machen den Zuschauer neugierig auf den Ansatz dieser Inszenierung: eine Amme schleppt sich schlurfend in die Bühnenmitte und beklagt Medeas Schicksal, der Scheinwerfer zoomt nach oben und rückt Constanze Becker in der Titelrolle der Medea in den Mittelpunkt. Auf einer meterhohen Betonwand schreit und seufzt sie, krümmt sich in ihrem Leid. Statt des Zerrbilds einer rasenden Kindsmörderin, das manche mit Medea assoziieren, kann Constanze Beckers Medea aber auch ganz anders: in anderen Momenten hat sie sich im Griff und zieht eiskalt mit rationaler Raffinesse ihren Racheplan durch.
Zwei Höhepunkte prägen diesen Abend: Ganz langsam rückt die meterhohe Wand mit Medea auf ihrer Plattform Zentimeter um Zentimeter von der Bühnen-Rückwand zum Parkett vor und kommt Jason (Marc Oliver Schulze) und dem Publikum bedrohlich nah. Den Kindesmord setzt Thalheimer mit einer Videoinstallation, Piktogrammen und schrillen E-Gitarren-Klängen Bert Wredes, diesmal die einzige musikalische Untermalung, um.
Die Frankfurter Medea-Inszenierung war ein gelungener Auftakt der Jubiläums-Ausgabe des Berliner Theatertreffens und ist ähnlich beeindruckend wie Barbara Freys Inszenierung mit Nina Hoss in der Titelrolle am Deutschen Theater Berlin im Jahr 2007. Damals hatte das Deutsche Theater einen Spielzeit-Schwerpunkt auf antiken Tragödien, Michael Thalheimer und Constanze Becker überzeugten damals schon gemeinsam, als sie die Orestie nach Aischylos auf die Bühne brachten.
Das 50. Berliner Theatertreffen: 3.-20. Mai 2013
Bild: Birgit Hupfeld
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