Andres Veiel wurde durch die beiden Dokumentarfilme Black Box BRD und Die Spielwütigen bekannt, die mit scharfer Beobachtungsgabe und Empathie den Folgen des Mordes an Deutsche Bank-Chef Herrhausen im Jahr 1989 und dem Leben von Schauspielschülern zwischen Träumen und hartem Alltag nachspürten.
Seine Auseinandersetzung mit dem Kollaps der Finanzmärkte wurde deshalb mit großer Spannung erwartet. Bei der Premiere im Januar wurde Himbeerreich, eine Koproduktion des Deutschen Theater Berlin und des Staatsschauspiels Stuttgart, von der Kritik jedoch eher verhalten aufgenommen, sorgte aber auch bei der Wiederaufnahme nach der Sommerpause für ein ausverkauftes Haus.
Himbeerreich ist spröde und fordernd: 90 Minuten lang wird das Publikum mit den Monologen von Ex-Bankvorständen und einer Personalchefin konfrontiert, die in gläsernen Aufzügen aus den Führungsetagen herabschweben. Veiel, Autor und Regisseur dieses Abends, führte lange Interviews mit ehemaligen Bankvorständen zu ihrer Sicht auf den Lehman-Crash und die Erschütterungen des globalen Finanzsystems. Die Aussagen wurden mosaikartig neu montiert und fiktiven Personen in den Mund gelegt.
Der Chauffeur eines Bankers bringt es auf den Punkt: Ich rede in einfachen Sätzen, weil ich verstanden werden will. Meine Chefs reden so kompliziert, weil sie gar nicht verstanden werden wollen. Hinter komplizierten Fachbegriffen und juristisch gedrechselten Ausflüchten verschwimmt die Verantwortung des Einzelnen, das beherrscht vor allem die Personalchefin Dr. Brigitte Manzinger (Susanne-Marie Wrage) meisterhaft. Etwas stärker wagt sich Gottfried W. Kastein (Ulrich Matthes) aus der Deckung, aber stellt den unregulierten Turbokapitalismus mit seinen Auswüchsen des Hochfrequenzhandels und der Erpressbarkeit der Staaten durch Banken, die Too big to fail sind, doch nicht grundsätzlich in Frage.
Die Kritiker nach der Premiere haben in einem Punkt recht: Der Abend überfordert viele Besucher, das politische Theater setzt Wissen voraus und wirft mit Fachbegriffen um sich. Viele Zusammenhänge werden in den 90 Minuten nur angedeutet. In einigen Kritiken hieß es: Aber immerhin wagt sich das Theater an dieses sperrige Thema, das so viele Menschen wütend macht, aber im Wahlkampf kaum thematisiert wird. So macht die Kunst wenigstens neugierig, sich tiefer mit den politischen und ökonomischen Zusammenhängen zu befassen.
Wegen der Gefahr, dass die Himbeerreich-Inszenierung ihr Publikum ratlos zurücklässt, war es eine kluge Entscheidung des Deutschen Theaters, am Vorabend der Bundestagswahl im Anschluss an die Aufführung im Saal des Rangfoyers ein Nachgespräch mit dem Autor/Regisseur Veiel und dem Ökonomen Heiner Flassbeck (er versuchte sich als Staatssekretär im Finanzministerium bei Lafontaine und arbeitete später bei den Vereinten Nationen) anzubieten, das vom Journalisten Stefan Reinecke moderiert wurde.
Das Interesse war enorm, die Luft im überfüllten Saal stickig, dennoch blieben die meisten bis zum Schluss der einstündigen Diskussion. Aufschlussreich war die Information Veiels, dass er im Anschluss an die Recherche für Himbeerreich das Angebot bekam, einen Essay mit den wichtigsten Schlussfolgerungen in einem Printmedium zu publizieren. Er arbeitete mit mehreren Anwälten daran, seinen Aufsatz gegen alle Schadenersatzforderungen von Bankern, die sich durch seine Vorwürfe angegriffen fühlen, abzusichern und deshalb zu verschlüsseln. Als die Presseabteilungen von Banken drohten, mit juristischen Mitteln gegen den Verlag und den Autor vorzugehen, verzichtete man auf eine Publikation und beließ es beim Theaterstück. Diese Hintergrundinformation bietet jedoch einen guten Erklärungsansatz, warum die Handlung auf der Bühne streckenweise sehr vage blieb und vieles nur angedeutet wird.
Die Diskussion, die sich nach diesen einleitenden Bemerkungen anschloss, war eine gelungene Lehrstunde in politischer Bildung, die auf interessantem Niveau über die Ursachen der Krise und mögliche Lösungen reflektierte. Es wurde eindrucksvoll deutlich, dass Politik und Medien nach dem großen Erschrecken erstaunlich schnell zur Tagesordnung übergingen, ohne dass die Wurzel der Krise analysiert ist und notwendige Konsequenzen (Schließung des Casinos, Regulierung der Märkte, Einführung eines Trennbankensystems) gezogen sind.
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