Eine spannende Begegnung stand am Sonntag bei der Matinee am Deutschen Theater Berlin auf dem Programm: Gregor Gysi, zukünftiger Oppositionsführer im Bundestag, falls die SPD-Basis der ungeliebten Koalition mit Merkels CDU zustimmen sollte, traf Matthias Döpfner, als Springer-Vorstandschef Feindbild aller Alt68er und aufrechten Linken. Mehrere böse Grass-Zitate rieb Gysi seinem Gast unter die Nase.
Freundlich-distanziert, mit besten Umgangsformen trat Döpfner auf, zu Beginn des Gesprächs ließ er seine Sozialistion in einem bildungsbürgerlichen Architektenhaushalt Revue passieren. Seine erste journalistische Station als Kulturkorrespondent im Brüsseler Büro der FAZ beschrieb der promovierte Musikwissenschaftler als geradezu paradiesische Existenz voller Freiheiten für einen kunstinteressierten, aber unpolitischen Mann.
Je länger das Gespräch ging, desto drängender stand eine Frage im Raum, die Gysi schließlich deutlich aussprach: Wie passt dieser Mann zum Revolver-Journalismus mit den großen Schlagzeilen und den Nackten auf Seite 1? Was führte ihn vom Leib- und Magenblatt der konservativen Mittel- und Oberschicht zum Boulevard?
Döpfners Lebenslauf scheint reich an Zufällen zu sein, er verstand es aber sehr geschickt, sich nicht zu sehr in die Karten respektive hinter die Fassaden blicken zu lassen, Gysi formulierte zurückhaltender, als man ihn aus Talkshows und dem Plenum des Bundestages kennt.
Als er Gruner + Jahr eine unausgegorene Geschäftsidee für ein Magazin vorschlug, habe Schulte-Hillen zwar abgelehnt, ihn aber zu seinem Assistenten gemacht, berichtete Döpfner. Nach einigen Lehrjahren wurde er zum Chefredakteur der kriselnden, mittlerweile eingestellten Wochenpost gemacht, die in der DDR eine interessante Nische besetzte, deren unterschiedliche Kulturen in der Redaktion sich nach der Wende aber nicht zu einem für ein breites Publikum attraktiven Blatt vereinen ließen. Das zweite Himmelfahrts-Kommando, bei dem Döpfner ebenso scheiterte, war sein Chefposten bei der Hamburger Morgenpost.
1998 wurde er zum Chefredakteur der WELT berufen, tief in den schwarzen Zahlen und einbetoniert in ideologischer Berechenbarkeit. Er entstaubte das Blatt, holte den Cohn-Bendit-Kumpel Thomas E. Schmidt und interessante Federn, führte das Blatt wieder in die Gewinnzone, erkannte früh die Potentiale des Online-Neulands und fiel Friede Springer so angenehm auf, dass er seit 2002 als Vorstandschef für die breiten Verästelungen des Springer-Konzerns zuständig ist, den er zurück von Hamburg nach Berlin führte.
Auf die eingangs erwähnte Frage, wie er zu BILD passe, konnte Döpfner keine wirklich überzeugende Antwort geben. Die spannenden aktuellen Fragen "Wie halten Springer und der Briefdienstleister PIN mit dem Mindestlohn?", "Wie sieht der Journalismus der Zukunft im Netz aus?", "Was wird aus dem Urheberrecht?" wurden von Gysi und Döpfner am Ende nur noch angerissen. Nach zwei Stunden entliess das Publikum Döpfner aus der Höhle des Löwen, mit Beifall, aber auch viel grauhaarigem Kopfschütteln und Grummeln.