„Jugend ohne Gott“: Anklage gegen Nazi-Mitläufer (DT-Kammerspiele)

Ödön von Horváth war Anfang der 1930er Jahre in der Endphase der Weimarer Republik auf dem Höhepunkt seines Ruhms angekommen, seine damals entstandenen Dramen Geschichten aus dem Wiener Wald, Kasimir und Karoline und Glaube Liebe Hoffnung werden auch heute noch häufig auf Bühnen gespielt. Nach Hitlers Machtergreifung wurden seine Schriften verboten, er verbrachte die meiste Zeit im Exil. Ein Versuch, doch wieder in Berlin Fuß zu fassen und sich anzupassen, scheiterte. Dieses persönliche Dilemma zwischen Widerstand und Mitläufertum ist auch Thema seines Romans Jugend ohne Gott, den er 1937 in Amsterdam veröffentlichte und der im Dritten Reich sofort verboten wurde.

Das Werk ist eine recht krude Kriminalgeschichte – die Handlung ist hier gut zusammengefasst – über einen idealistischen Lehrer (Christoph Franken im Klischee-Cordjackett eines Alt-68ers-Studienrats), der Gotteserscheinungen hat und unter dem "seelenlosen Duckmäusertum" und der fehlenden Orientierung an (christlichen) Werten seiner pubertierenden Schüler leidet. Hier kommt ein weiterer autobiographischer Zug ins Spiel: Als von Horváth im Alter seiner Schüler-Figuren (gespielt von Studenten der Ernst Busch Hochschule) war, gingen die k.u.k.-Monarchie und mit ihr alle vertrauten Sicherheiten in den Wirren des Ersten Weltkriegs unter, wie er in einer autobiographischen Notiz beschreibt, die im Programmheft abgedruckt ist: "Wir waren verroht, fühlten weder Mitleid noch Ehrfurcht).

Tilmann Köhler, junger Hausregisseur am Staatsschauspiel Dresden, der in Berlin schon einige Stücke am Gorki und in der letzten Spielzeit Verbrennungen an den DT-Kammerspielen, die an ähnlichen Mängeln leidet, inszenierte, schrieb mit seiner Dramaturgin Meike Schmitz eine Bühnenfassung, die sich sehr stark an das Original anlehnt und knapp drei Stunden dauert. Das erste Problem an diesem Projekt ist, dass sich der sperrige Stoff nicht recht für die Bühne eignet. Es wäre interessant gewesen, was der Filmregisseur Robert Siodmak, der in den 1940ern im Hollywood-Exil mit Film noir-Werken reüssierte, aus diesem Text gemacht hätte. Leider hat er seine Pläne nie umgesetzt: Ödön von Horváth wurde nur wenige Stunden, nachdem er mit dem Regisseur über eine Verfilmung gesprochen hatte, von einem Ast auf den Champs-Élysées erschlagen.

Das zweite Problem dieses Abends ist, dass Tilmann Köhler ein klarer Zugriff auf das Stück fehlt. Dies ließen auch schon die Texte im Programmheft befürchten, die recht willkürlich zusammengesampelt erscheinen. Das Stück beginnt mit einer Bühnen-Projektion eines Zitats des Sozialwissenschaftlers Harald Welzer aus seinem viel diskutierten neuen Buch Selbst denken. Anleitung zum Widerstand, der die Zerstörung sozialer Bindungen in unserer Zeit beklagt. Ein interessanter Ansatz, aber diese steile These steht dann einfach nur im Raum, an keiner Stelle wird darauf Bezug genommen. Auch die anderen Regieeinfälle sind nicht recht überzeugend: die Mitglieder des Knabenchors Berlin singen lateinische, religiöse Lieder, der dunkelhäutige deutsch-brasilianische Thonací untermalt viele Szenen auf der Gitarre mit Afro Jazz. Man ahnt, dass sein Auftritt eine Reaktion auf die Debatte zwischen den Lehrern und seinen von NS-Ideologie deformierten Schülern im Stück ist, ob "Neger auch Menschen" sind. Aber auch hier gilt: Die losen Fäden werden nicht stimmig verknüpft und miteinander in Beziehung gesetzt. Ärgerlich ist schließlich der Nikotingestank, der in zwei Szenen in die Zuschauerreihen nach oben zieht.

Ich schließe mich deshalb dem Urteil von Sascha Krieger ("Und doch lässt dieser Abend seltsam kalt. Das hat mit der durchaus intendierten Kälte, mit der Köhler agieren und sprechen lässt und die auch die elaborierte Lichtregie auszeichnet, zu tun, mehr jedoch mit der Unentschlossenheit der Inszenierung. Köhler findet keine Haltung zu diesem Stoff.") und Esther Slevogt auf nachtkritik ("So erweist sich die Parabeltauglichkeit des Stücks und seine Befunde für die Gegenwart an diesem Abend schon recht schnell als äußerst brüchig, staubt es immer wieder mächtig aus dem Text. Und geht die Rechnung des Abends eben nicht auf. Weil eigentlich gar nicht gerechnet, sondern bloß behauptet wird. Köhler spielt den Text mit wenigen Straffungen ziemlich vom Blatt.") an, während Tagesspiegel und Berliner Zeitung erstaunlich positiv urteilten. 

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