Leander Haußmann bringt mit Büchners „Woyzeck“ das Berliner Ensemble zum Beben

Leander Haußmanns Woyzeck am Berliner Ensemble hat mit Sebastian Hartmanns Inszenierung, die gleich um die Ecke am Deutschen Theater gezeigt wird, außer dem Titel und der Spieldauer von knapp zwei Stunden wenig gemeinsam.

Während Hartmann das Textfragment radikal auf das existentielle Ringen zweier Körper reduziert, lässt Haußmann 30 Soldaten in voller Montur aufmarschieren. Das laute Stampfen der Stiefel und die schrillen Befehle des ehemaligen Offiziers, der die Statisten vor der Premiere gedrillt hat und die Truppe auch diesmal für ihren Auftritt heiß macht, ist bis ins Obere Foyer zu hören, als der Dramaturg vor den herangekarrten Schulklassen eine launige Einführung hält. These boots are made for walking, dröhnt es aus den voll aufgedrehten Lautsprechern, als die Soldaten aufmarschieren und Franz Woyzeck in die Mitte nehmen.

Eine der Stärken dieses Abends ist der Soundtrack. Wie der Dramaturg berichtete, erschien Haußmann mit einer beeindrucken Sammlung von Audiodateien, aus denen er zielsicher die textlich und musikalisch passende Pop-Untermalung zu Georg Büchners Original-Dialogen aus dem 19. Jahrhundert auswählte.

Überzeugend ist auch Haußmanns politische Herangehensweise an den bekannten Stoff: wie schon in seinen Kinokomödien Sonnenallee und NVA vor mehr als einem Jahrzehnt angedeutet, sieht er das Militär als eine männerbündische Institution, die für den Einzelnen zur Tretmühle wird. Franz Woyzeck (Peter Miklusz) wird zunächst von der Ärztin (Traute Hoess) bei der Musterung und den medizinischen Tests zum Objekt degradiert. Den letzten Rest seiner Würde verliert Woyzeck, als die anderen Soldaten ihn festhalten, ihm die Erbsensuppe mit der Kelle einflößen, ihn anpinkeln und vergewaltigen.

Woyzeck ist in Haußmanns Deutung ein Gedemütigter, der in die Verzweiflung getrieben wird, bis er sich – eine Parallele zu Benjamin Lillies Performance am DT – nackt auszieht und unter lautem Stampfen und Anfeuern der Kumpels mit dem Messer auf seine geliebte Marie einsticht. Dies ist eine in sich schlüssige Deutung der Vorlage, die zwar nicht allzu tief unter der poppigen Oberfläche schürft, aber doch zu einer gelungenen Inszenierung werden könnte.

Könnte… Wenn da nicht die Brüche und Albernheiten gewesen wären, die trotz starker Kürzungen – die Voraufführung dauerte Anfang September noch 3,5 Stunden – geblieben sind. Die Karussel-Szene der Soldaten kippt in den Kitsch. Die Liebesszene zwischen Marie und dem Tambourmajor schreckt nicht mal vor der plattesten Peinlichkeit zurück, die Zigarette an diesem verqualmten Abend als erotisches Symbol aufzuladen.

So bleibt ein zwiespältiger Eindruck, als der immer noch nackte Woyzeck Peter Miklusz dem Publikum zuruft: „Was glotzt ihr so?“

Woyzeck. Regie: Leander Haußmann am Berliner Ensemble. Ca. 2 Stunden. Premiere war am 8. September 2014

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