„Das Spiel beginnt!“ rufen die beiden Mädchen Emilia Nietiedt (im Programmheft als „DAS LEBENSLICHT“ aufgeführt) und Lotta Rosa Hegenscheidt („DER SCHUTZENGEL“) in regelmäßigen Abständen.
Ach wenn es doch nur tatsächlich beginnen würde! Stattdessen schleppt sich der Abend 90 Minuten lang dahin. Für Achim Freyers „Abschlussball – Ein Lamento in Bildern“ haben sich viele bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler zu einer langen Trauerprozession aus Toten und Halbtoten versammelt.
Neben Heiner Müller werden vor allem die großen mythischen Figuren der griechischen Tragödie beschworen: Medea, Penthesilea, Ödipus. Dazwischen singt die Sopranistin Esther Lee-Freyer, die Frau des Regisseurs, untermalt vom „avantgardistisch-dräuenden Sound“ (Esther Slevogt treffend auf Nachtkritik) der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti.
Zwischen den Textschnipseln und Soundbites schleppt sich der Einheitsbrei zäh dahin. Die Wirkung des Lamentos verpufft zu früh, dahinter bleibt nur gähnende Leere.
Einer der wenigen Lichtblicke ist Felix Strobel, der mit seinen Ernst Busch-Kommilitonen in „Zwei Herren aus Verona“ im Pavillon brillierte. Er darf dem Abend mit einigen Soli und im Kampf des Achill mit der Penthesilea einige Spurenelemente von Energie einhauchen.
Es bleibt zu hoffen, dass Claus Peymanns letzte Spielzeit nicht in derselben Lethargie wie diese erste Premiere seiner Abschiedssaison versinkt. Brechts traditionsreiches Haus braucht statt dieser enttäuschen Begräbnisschau mehr Abende vom Kaliber eines „Woyzeck“, der das Berliner Ensemble zum Beben bringt, oder der ausgelassenen „Räuber“-Bande.
Bilder: © Hans Jörg Michel
Gabriele Flüchter
Ich war nicht in dem Stück, überlege aber, es zu sehen – denn ich muss die ganze Zeit, wie ich die Kritiken lese, an den \“Godfather of British Jazz\“, Stan Tracey, denken.
Warum? Tracey, ein Könner in seinem Fach, ließ keinen Zweifel daran, dass ihn das Publikum mitunter zur Verzweiflung brachte, denn es hatte keine Ahnung von Jazz – wollte immer irgendwie Brubeck oder so ähnlich wie Brubeck, oder wenigstens so ähnlich wie Tracey vor 20 Jahren, jedenfalls immer was Bekanntes.
Tracey war kein Schleimer – ich habe ihn selbst erlebt – ein grandioses Konzert im Rahmen der Proms in der Royal Albert Hall London. Es stimmt, Tracey wendete sich zu keinem Zeitpunkt an das Publikum. Demonstrativ wendete er sich nur seinen Mitspielern zu und verbeugte sich ausschließlich vor diesen.
Ich fand das Konzert toll, obwohl ich damit leben musste, Tracey nur von hinten zu sehen – aber wegen seines Arsches war ich ja sowieso nicht da, oder?
Vielleicht regen ja auch solche Aufführungen im positiven Sinne zum Nachdenken an, die das Publikum nicht anschleimen, die ihm vielmehr zu tun geben, es ein wenig nerven und ja – auch die Rückseite präsentieren.
Ein gutes Publikum verträgt das!
Gabriele Flüchter