Düstere Stoffe zum Berlinale-Auftakt im „Panorama“: Drogenkrieg, Gewalt im Rotlicht-Milieu und RAF-Terror

Dass Gabriel Ripsteins 600 Millas nicht gut ausgehen wird, ahnt man schon bei der Exposition, als ein Teenager einen sehr reichhaltig ausgestatten Waffenladen irgendwo im Süden der USA betritt. Gemeinsam mit einem Kumpel hat er das Geschäftsmodell entdeckt, Waffen für Drogenkartelle über die Grenze nach Mexiko zu schmugggeln.

Als der Drogenfahnder Hank Harris (Tim Roth) sie festnehmen will, gerät er in die Gewalt der Jugendlichen und wird als Geisel genommen. Recht unrealistisch und für einen Genre-Film ungewöhnlich tempoarm entfaltet sich eine blutige Gewaltspirale. Gabriel Ripsteins erster Spielfilm ist deshalb leider nicht ganz gelungen. Die Zuschauer erfahren auch wenig über die explosive Gemengelage in der Grenzregion zwischen USA und Mexiko mit den Migrantenströmen, den hochgerüsteten Grenzanlagen und dem Krieg zwischen den rivalisierenden Kartellen.

Eine bemerkenswerte Szene hat der Film doch noch zu bieten: einer der beiden Jungs (Kristyan Ferrer, der auch im gelungeren mexikanischen Kinofilm Sin Nombre 2009 zu sehen war), posiert vor dem Spiegel im Stil von Robert de Niro und imitiert dessen legendäre You are talking to me?-Szene aus Taxi Driver.

In gewalttätige Milieus taucht auch Berlinale-Stammgast Rosa von Praunheim ein. Sein neuer Film Härte , eine Co-Produktion mit WDR, RBB und arte, erzählt die Lebensgeschichte des Neuköllner Karate-Weltmeisters und Zuhälters Andreas Marquardt. In diesem Dokudrama erinnern sich Marquardt und seine langjährige Partnerin Marion Erdmann vor der Kamera an die brutalen gemeinsamen letzten Jahrzehnte: wie Marquardt als Kind vom Vater gequält und einige Jahre später von der Mutter missbraucht wurde; wie er ins Rotlicht-Milieu hineingeriet und Frauen als Stück Fleisch behandelte; wie er sieben bis acht Frauen gleichzeitig vorspielte, er sei mit ihnen zusammen, und sie auf den Straßenstrich schickte; wie er mehrfach im Gefängnis landete; und wie er heute nach Haftentlassung und Therapie ein Fitness-Studio und eine Karateschule betreibt.

Man muss zugeben, dass die beiden exzellenten Schauspieler Hanno Koffler (als Andreas Marquardt) und Luise Heyer (als Marion Erdmann) in den Spiel-Szenen, die zwischen die aktuellen Interviews geschnitten sind, die düstere Geschichte der beiden eindrucksvoll auf der Leinwand darstellen. Warum sich Marion Erdmann nach so vielen Demütigungen und Gewalt darauf einlässt, den Heiratsantrag anzunehmen, den Marquardt ihr bereits am Ende des Films macht und den er bei der Premiere im Zoo-Palast wiederholt, bleibt ihr Geheimnis. Härte ist sehr rauhe Kost über unsympathische, brutale Menschen in dubiosen Milieus.

Um eine Gewalt-Spirale geht es auch im neuen Dokumentarfilm Une Jeunesse Allemande des Franzosen Jean-Gabriel Périot. Das berühmte Streitgespräch von Regie-Legende Rainer Werner Fassbinder mit seiner Mutter am Küchentisch in dem sehr empfehlenswerten Episoden-Film Deutschland im Herbst ließ ihn nicht los: unter dem unmittelbaren Eindruck der Schleyer-Einführung, des in Mogadischu von der GSG9 gestürmten Lufthansa-Flugzeugs und der Nachricht über die toten RAF-Terroristen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim liefertenn sich Mutter und Sohn Fassbinder im Jahr 1977 eine hitzige Debatte über die richtige Antwort auf den Terror und die Frage, ob wir uns statt der Demokratie lieber für einen gütigen, aber strengen autokratischen Herrscher entscheiden sollten, wie ihn sich Frau Fassbinder wünscht.

Diese Szene war der Auslöser für Périots Reise ins Archiv der Deutschen Kinemathek. Er wollte wissen, warum sich begabte Studenten wie Gudrun Ensslin und Holger Meins oder die anerkannte Journalistin Ulrike Meinhof nach dem Mai 1968, als auch in Paris die Jugend auf die Barrikaden ging, anders als in Frankreich derart radikalisierten, dass sie das Land mit dem RAF-Terror der 70er Jahre überzogen.

Périot ist es tatsächlich gelungen, einige interessante und kaum bekannte Fundstücke aus dem Archiv auszugraben. Sein Film Une jeunesse allemande erklärt den Weg in den Untergrund zwar nicht, aber er dokumentiert den Zeitgeist und die Rahmenbedingungen auf sehenswerte Art und Weise.

Wer nach so viel Gewalt ein Kontrastprogramm braucht, ist bei der brasilianischen Liebesgeschichte Beira-Mar im Forum der Berlinale gut aufgehoben. Das Regie-Duo Marcio Relon und Filipe Matzembacher filmte die Erinnerung an ihre Jugend, als sie sich sehr langsam näher kamen. Die Entwicklung zwischen Martin und Tomaz ist filmisch stimmig umgesetzt, das Ende ist jedoch lange vorhersehbar. Beira-Mar ist eine von vielen Coming out-Liebesgeschichten und fügt diesem Genre nichts Neues hinzu.

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