Höhepunkte und Totalausfälle im Berlinale-Wettbewerb 2015: insgesamt stärker als in den vergangenen Jahren

Jafar Panahis Taxi zählt trotz einiger Kritikpunkte (mehr dazu hier) sicher zu den gelungeneren und interessanteren Filmen im Berlinale-Wettbewerb 2015. Die Entscheidung der Jury um Darren Aronofsky und Daniel Brühl, ihm den Goldenen Bären zu verleihen, war deshalb gut vertretbar.

Es dürfte ausschlaggebend gewesen sein, dass die Jury ein klares politisches Statement gegen die Zensur abgeben und dem renommierten Regisseur, der nur unter schwersten Bedingungen im Iran weiterarbeiten kann, den Rücken stärken wollte. Die Berlinale wurde mit dieser Entscheidung in jedem Fall ihrem Anspruch gerecht, das politischste der drei großen Kino-Festivals (Cannes, Venedig, Berlin) zu sein.

Die empörten Reaktionen des Mullah-Regimes ließen nicht lange auf sich warten, die staatliche Nachrichtenagentur Tasnim bezeichnete die Preisverleihung als „Höhepunkt der politischen Spielereien bei der Berlinale.“

Der zweite große Sieger bei der Berlinale 2015 war El Club des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín: der von der Kritik hochgehandelte Film gewann verdientermaßen den Großen Preis der Jury. In düsteren, verwaschenen, blau-grauen Farben führt uns der Film in ein abgelegenes Dorf am Meer. Die katholische Amtskirche hat Priester, die sich des sexuellen Missbrauchs oder ähnlicher Vergehen schuldig gemacht haben, in ein Wohnheim abgeschoben, um sie vor dem Fokus der Öffentlichkeit und Strafverfolgung zu schützen.

Das Arrangement wird bedroht, als ein Missbrauchsopfer vor dem Heim auftaucht und seine Wut herausbrüllt. Einer der Priester wagt sich vor die Tür und schießt seinem Ankläger in den Kopf. Dies ruft einen Sonderermittler auf den Plan, der die Ruhe mit intensiven Befragungen stört und mit der Schließung des Heims droht. Beeindruckend ist vor allem, wie die scheinbar harmlose Schwester Mónica (Antonia Zegers, die Frau des Regisseurs) als Aufseherin die Fäden zieht.

El Club ist ein düsterer, gut komponierter Film, der schonunglos in den Wunden der Missbrauchsskandale der katholischen Kirche bohrt, die in den vergangenen Jahren nach und nach ans Licht kamen. Wie es dem Thema entspricht, schlägt Larraín in seinem neuen Werk einen wesentlich bittereren Ton als in seiner bunten Politsatire No an, mit der er 2012 international bekannt wurde und für einen Oscar nominiert war. Damals spielte Gael García Bernal die Hauptrolle, der in El Club leider nicht mitspielt, aber einen weiteren wichtigen Film zum Thema sexueller Missbrauch geprägt hat: La mala educación (2004) von Pedro Almodóvar.

Unter den deutschen Beiträgen ragte Sebastian Schippers fulminanter Victoria-Trip durch die Berliner Nacht heraus, der zurecht einen Silbernen Bären für die beste Kamera bekam (mehr dazu hier). Wesentlich schwächer waren Als wir träumten und Elser: Die Roman-Verfilmung Als wir träumten von Regisseur Andreas Dresen und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase blieb hinter den Erwartungen zurück. Ihrer jüngsten Zusammenarbeit fehlt der Witz, der Sommer vorm Balkon (2005) so stark gemacht hat. Stattdessen zieht sich Als wir träumten recht langatmig mit meist sehr jungen, noch unbekannten Schauspielern dahin, die Story über eine Clique Jugendlicher in Leipzig nach dem Mauerfall kann nicht fesseln.

Ebenfalls keinen bleibenden Hinterdruck hinterließ Elser, da sich Regisseur Oliver Hirschbiegel und seine Drehbuch-Autoren Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer nicht recht entscheiden konnten, wie sie die Geschichte des schwäbischen Schreiners Georg Elser erzählen wollen. Im Gegensatz zur Widerstands-Gruppe um Graf von Stauffenberg ist der nur knapp gescheiterte Attentats-Versuch (deshalb auch der englische Titel 13 Minutes) von Elser im Münchner Bürgerbräu-Keller im November 1939 in der breiten Öffentlichkeit nur wenig bekannt, deshalb bleibt positiv hervorzuheben, dass sich eine große Kino-Produktion dieser historischen Persönlichkeit widmet. Der Film bleibt jedoch unter dem Niveau des übrigen Wettbewerbs: zu effekthascherisch und brutal sind die Gestapo-Folter-Szenen (mit Burghart Klaußner), zu aufgesetzt wirken die Schilderungen von Elsers Liebe zu Elsa (Katharina Schüttler).

Experimentierfreudig, aber nur teilweise geglückt waren Eisenstein in Guanajuto und Cha và con và. Mit Eisenstein in Guanajuto kehrte der britische Regisseur Peter Greenaway nach mehrjähriger Pause zurück, konnte dabei jedoch nicht ganz an das Niveau seiner Meisterwerke aus den 80er und 90er Jahren anknüpfen. Visuell sehr interessant, aber inhaltlich zu eindimensional schildert er die Erlebnisse des sowjetischen Regisseurs Sergej Eisenstein auf einer Mexiko-Reise. Bei seinen Dreharbeiten zu Que viva Mexico stürzt sich der Bücherwurm Eisenstein ins pralle Leben und verliebt sich zum ersten Mal. Das Publikum lernt neue Facetten des Meisterregisseurs kennen, der mit Filmen wie Panzerkreuzer Potemkin (1925) Maßstäbe der Filmkunst setzte. Im Gesamtwerk von Greenaway bleibt sein jüngster Film aber wohl nur eine Fußnote.

Der junge vietnamesische Regisseur Phan Dang Di erzählt seine Geschichte über schwierige Liebesbeziehungen, arrangierte Ehen und gesellschaftlichen Druck in Cha và con và zu konfus. Das macht es erstens für die Zuschauer unübersichtlich. Zweitens gelingt es ihm schlechter, seine Kritik an gesellschaftlichen Missständen in Südostasien zu transportieren, als es zum Beispiel in How to win at Checkers (every time) der Fall war, der im Panorama der Berlinale lief.

Trotz eines Totalausfalls wie Terrence Malicks Knight of Cup (mehr dazu hier) war der Wettbewerb um die Goldenen Bären in seiner Breite 2015 stärker besetzt als in den vergangenen Jahren. Dies lag vor allem an den von der Kritik gelobten Filmen Ixcanul aus Guatemala (Alfred-Bauer-Preis), dem Ehekrisen-Drama 45 Years mit Charlotte Rampling (Silberne Bären für die beiden Hauptdarsteller), dem zweiten chilenischen Wettbewerbs-Film El botón de nacár (Silberner Bär für das Beste Drehbuch), Aferim! von Radu Jude über Roma-Diskriminierung und Body der polnischen Regisseurin Malgorzata Szumowska, die schon 2013 mit Teddy-Gewinner In the name of überzeugte, (beide teilten sich den Silbernen Bären für die Beste Regie) sowie Alexey Germans russischem Albtraum Pod electricheskimi oblakami (er teilte sich mit Victoria den Silbernen Bären für die Beste Kamera).

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