So einen Rummel hat das beschauliche Wilmersdorf lange nicht erlebt. In dem Trubel und Gewusel vor dem Festspielhaus stehen an den wenigen freien Plätzen Menschen mit bangendem bis verzweifeltem Blick und „Suche Karte“-Schildern. Gesprächsfetzen: „Wie, Du hast noch gar keine Karte?“ Und im Epizentrum der allgemeinen Aufregung vor der ultimativ letzten „Baal“-Aufführung hat sich das Theatertreffen-Blog postiert: in einer Auktion wollen sie die allerallerletzte Karte versteigern, der Erlös soll an die Brecht-Erben gehen, die mit ihrer Klage verhindert haben, dass die Inszenierung im Repertoire des Münchner Residenztheaters bleiben kann.
Falls sich jemand ohne ausreichende Sprachkenntnisse in diese Menschentraube verirrt haben sollte und vor lauter „Karte, Karte, Karte“ nur noch Bahnhof versteht: es ging „nur“ um eine Theater-Aufführung von Frank Castorf. Ein Berliner Theatermacher, von dem man ähnliche Arbeiten einige Kilometer weiter östlich in seinem Stammhaus am Rosa-Luxemburg-Platz ganz stressfrei ohne die ganze „Suche Karte“-Hysterie erleben kann. Wenn man sich statt für seine aktuellste Arbeit Baal für seine vorletzte Produktion Kaputt entscheidet, kann man es sich in einem halbleeren Auditorium richtig gemütlich machen.
Wenn der zufällig in den Trubel geratene Besucher sich nun fragt, was ihn bei einem Castorf-Abend erwartet, können wir ihn guten Gewissens an das Theatertreffen-Blog verweisen. Genau, das sind die mit der allerallerletzten versteigerten Karte. Auf Englisch erklärten sie dort, woran man einen Castorf-Abend erkennt.
Wenn man sich mit dieser Checkliste in die Aufführung setzt, kann man fleißig die Punkte abhaken: es gibt wieder viele Live-Videos, es wird viel geschrien, die Schauspielerinnen und Schauspieler rennen leichtbekleidet über die Bühne und beschimpfen sich: „Hier geht man nicht halbnackt auf die Bühne!“ – „Idiot!“ Und das Ganze dauert wieder deutlich mehr als vier Stunden.
Brechts „Baal“ wurde mit viel Fremdtext zu den Themen Krieg und Kolonialismus angereichert, dazu coole Beats, etwas Tarantino-Style und ein Hubschrauber.
Die Quintessenz: „Das Leben ist eine Farce, die wir spielen müssen.“
Also alles wie immer bei Castorf. Kein Grund zur Aufregung.
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