Eine Uraufführung von Yasmina Reza in Starbesetzung mit Nina Hoss und Mark Waschke! „Bella figura“ hört sich nach einem großen Genuss an, fast so verlockend wie das Nougatparfait mit Birne, das am Ende des Stücks zum Dessert gereicht wird. Doch leider bekommen wir nur eine matte Apfelsaftschorle aufgetischt.
Liegt es an der Übersetzung? Oder schleppt sich auch der französische Originaltext dieses Konversationsstücks, die Yasmina Reza eigens für Thomas Ostermeier und die Schaubühne geschrieben, ebenso zäh dahin?
Diesem Abend fehlt alles, was „Gott des Gemetzels“ zu einem Publikumshit gemacht hat, der auch von Hollywood adaptiert wurde: keine bissigen Wortgefechte, kaum überraschende Pointen, wenig Esprit. Isabelle (Lore Stefanek), die älteste der fünf Figuren, meint einmal sinngemäß: Irgendwann werde ich tot sein und ihr werdet einfach weiter quatschen.
Die Exposition ließ auf amüsanten Edel-Boulevard aus der Feder der französischen Erfolgsautorin hoffen: ein Unternehmer will sich mit seiner Geliebten einen schönen Abend in einem schicken Restaurant machen, trifft aber dort auf die beste Freundin seiner Gemahlin, die mit ihrer Familie den Geburtstag der Schwiegermutter feiert. Statt guter Unterhaltung gibt es dann aber leider nur viel Qualm inklusive Product Placement von Nina Hoss für die Marke „Lucky Strike“, quäkende Frösche, zirpende Grillen, Käfer in Großaufnahme, eine Slapstick-Toiletten-Sex-Szene und leeres Gerede.
„Ich drehe durch vor Glück!“ – Nein, dazu bietet dieser Abend kaum Anlass. Und auch bei der alleinerziehenden pharmazeutisch-technischen Angestellten Andrea (Nina Hoss) ist das nur Sarkasmus, als sie ihren Liebhaber Boris (Mark Waschke) gallig auflaufen lässt. Aber immerhin war das einer der Momente, wo sich schemenhaft andeutete, was für ein Theaterfest bei diesem Trio Reza/Hoss/Waschke möglich gewesen wäre.
Yasmina Reza ist und bleibt eine großartige Autorin bissig-spritziger Gesellschaftskomödien, aber diese Auftragsarbeit ging leider daneben. Die Vorstellungen bis zur Sommerpause sind trotzdem schon ausverkauft.
Die zweite Kombination großer Namen, die bei den Verantwortlichen des Berliner Tourismus Marketing die Augen funkeln lässt und das Publikum ins Theater lockt, lautet Robert Wilson und Herbert Grönemeyer. In ihrer neuen Zusammenarbeit am Berliner Ensemble nehmen sie ein „Best of“ aus Goethes Nationaldrama Faust I und II und machen daraus ein unterhaltsames, auch über vier Stunden recht kurzweiliges Musical, das sich gut wegkonsumieren lässt.
Robert Wilson treibt seine unverkennbare Regiehandschrift hier auf die Spitze. Alles, was seine treuen Anhänger lieben und seine Gegner als seriellen Kunstgewerbe-Kitsch verachten, erleben wir hier bei seiner letzten Regiearbeit am Berliner Ensemble noch einmal: die dick aufgetragene weiße Schminke, wilde Frisuren, stilisierte, oft puppenartige Bewegungen, Scherenschnitte und opulente Kostüme.
Aus diesen Zutaten mixt Wilson eindrucksvolles Variète-Bildertheater mit viel Liebe fürs Detail: Mephisto (Christopher Nell) hat den Faust gleich in vierfacher Ausführung (Joshua Seelenbinder, Fabian Stromberger, Nicolaas van Diepen und Alexander Wanat von der HfS Ernst Busch) an seiner Seite. Er führt ihn durch einen bunten Szenenreigen, wie ein Schmetterling flattern die beiden zur nächsten schillernden Blüte. Im Vordergrund des Regiekonzepts stehen statt tiefgründiger Textexegese die Ästhetik der Oberfläche, aus der Vorlage wird so viel komisches Potenzial wie möglich herausgekitzelt und beim Riesen-Dildo unter der Bischofskutte dabei auch mal weit über das Ziel ins Nirvana der Albernheiten hinausgeschossen.
Aber unter dem Strich funktioniert das Konzept erstaunlich gut. Dafür sorgen auch die musikalischen Intermezzi, die nicht nur die Umbaupause zwischen den Szenen-Häppchen verkürzen, sondern in ihrer Vielfalt den Ohren schmeicheln. Statt des unverkennbar-knödelnden Grönemeyer-Sounds unternimmt der Komponist interessante Ausflüge von Barock über Hip Hop bis Ragtime.
Nach den vier Stunden erntete das Ensemble großen Applaus, viele Reiseveranstalter werden sich den Faust von Wilson/Grönemeyer als unterhaltsamen Theaterabend, der niemand überfordert, in ihr Berlin-Programm aufnehmen.
Das BE hat einen Wilson bestellt und einen echten Wilson bekommen, der die Zielgruppe glücklich macht. An der Schaubühne ist dieses Konzept mit Reza diesmal leider nicht aufgegangen.
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