In der Exposition ihres neuen Films Zweite Chance lässt die preisgekrönte dänische Regisseurin Susanne Bier zwei Welten aufeinander prallen: hier die heile Welt des Polizisten Andreas (Nikolaj Costner-Waldau, der als Jamie aus Game of Thrones bekannt ist, dort der Junkie und Ex-Häftling Tristan (Nikolaj Lie Kaas).
Die beiden Milieus sind in einer überdeutlichen Schwarz-Weiß-Malerei gezeichnet: Andreas hat zwar einen anstrengenden Job, setzt sich aber dort für das Gute und Gerechte ein. Er lebt mit seiner hübschen Frau Anna (Maria Bonnevie) und dem kleinen Sohn in einer lichtdurchfluteten Wohnung wie aus dem Design-Katalog. Tristan haust dagegen mit seiner Lebensgefährtin Sanne in einem dunklen, verdreckten Loch. Wenn er sich nicht gerade den nächsten Drogen-Schuss setzt, qualmt er Frau und Kind zu. Das Baby liegt mit Kot beschmiert und völlig verwahrlost auf dem Badezimmer-Boden.
Klare Verhältnisse, Gut und Böse sind eindeutig unterschieden, was soll jetzt noch kommen? Susanne Bier und ihr bewährter Drehbuchautor Anders Thomas Jensen müssen nun schon einige Volten schlagen, die unrealistisch wirken, um ihre Geschichte ins Rollen zu bringen und die Verhältnisse durcheinanderzuwirbeln. Nach dem plötzlichen Tod seines eigenen Babys spaziert der Polizist unbemerkt in die Wohnung des Junkie-Paars und tauscht die Kinder einfach aus. Auch weitere Handlungen der Filmcharaktere reizen die Grenzen der Glaubwürdigkeit aus. Schon nach der Weltpremiere beim Festival in Toronto 2014 urteilten viele Kritiken, dass die Versuchsanordnung sehr konstruiert sei.
Die 90 Minuten werfen die Frage auf: Was macht gute Eltern aus? In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung stellt die Regisseurin Susanne Bier zur Diskussion: „Doch kann es nicht der Fall sein, dass eine Mutter, die wir als liebevoll wahrnehmen, gar nicht so hingebungsvoll ist? Und eine Mutter, von der wir glauben, sie sei eine Rabenmutter, in Wirklichkeit starke Muttergefühle in sich trägt?“ Ihr geht es darum, Wahrnehmungen und vorgefertigte Urteile ins Wanken zu bringen, verpackt in dieses typische Susanne Bier-Genre, für das es noch keine gute Bezeichnung gibt: halb Melodram, halb Thriller.
Die Schwäche von Zweite Chance ist, dass man ihm anmerkt, dass er zu sehr am Reißbrett konstruiert ist. Deshalb gehört er trotz einiger eindringlicher Szenen und einer wichtigen Fragestellung zu den eher schwächeren Werken dieser bedeutenden Regisseurin des europäischen Autorenkinos.