Shakespeares großes Eifersuchtsdrama „Othello“ bereitet jedem Regisseur, der es inszenieren möchte, Kopfzerbrechen. Die letzten beiden Berliner „Othello“-Inszenierungen scheiterten auf unterschiedliche Weise: Jette Steckel ließ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters alle Rollen von Frauen spielen und drehte damit die historische Praxis aus Shakespeares Globe, als nur Männer auf der Bühne standen, um. Ihr Regiekonzept, das mit Identitäts-Zuschreibungen spielte und Susanne Wolff in ein Gorilla-Kostüm schlüpfen ließ, verhedderte sich zu sehr in einem Gestrüpp aus Theorien (Kritik im Archiv). Bei Thomas Ostermeier war Othello 2010 an der Schaubühne ein naiver, nackter, mit Schlamm verschmierter Kraftprotz (Sebastian Nakajew), der den Intrigen Jagos erliegt (Kritik im Archiv).
Schon der Untertitel „Der Mohr von Venedig“ ist aus heutiger Sicht ein grober Verstoß gegen politische Korrektheit. In den vergangenen Jahren entzündeten sich an den „Othello“-Inszenierungen hitzig geführte Debatten über die Reproduktion rassistischer und kolonialistischer Stereotype, besonders intensiv tobte die Debatte um das „Blackfacing“.
Wie geht das Gorki, das sich das postmigrantische Theater auf die Fahne geschrieben hat, mit diesem Stoff und seinen rassistischen Konnotationen um?
Der „Othello“ des Gastregisseurs Christian Weise nach einer Shakespeare-Bearbeitung von Soeren Voima ist ein echter Gorki-Abend, im guten wie im schlechten Sinn:
Alle Rollen werden wie bei Shakespeare von Männern gespielt, auch die Desdemona (Aram Tafreshian in wechselnden Fummeln). Einer nach dem anderen rutscht bäuchlings auf die abschüssige Bühne, die Darsteller der Nebenrollen tragen Harlekin- oder Sonnenkönig-Kostüme im Commedia dell´Arte-Stil, nur Taner Şahintürk tritt als Othello in sportlich-lässiger Alltagskleidung auf. Sein Othello wird vor allem in der ersten Hälfte vor der Pause zu einem Fremdkörper in dem Gewusel kabarettistischer Nummern und Parodien, das um ihn her tobt.
Der komische Höhepunkt ist eine wunderbar bissige Pegida-Parodie von Till Wonka, der sich als Rodrigo durch den Abend sächselt und keinen Hehl aus seiner Fremdenfeindlichkeit macht.
Schauspielerisch ragt vor allem wieder mal Thomas Wodianka heraus, der den Jago als von Neid zerfressenen Intriganten gibt. Sein Auftritt mit weit aufgerissenen Augen erinnert an die Tiraden von Klaus Kinski (siehe Nachtkritik.de), die SZ erlebte ihn wie „Gustaf Gründgens auf Speed“.
Ein typisches Gorki-Stilmittel ist es auch, dass Schauspieler plötzlich aus der Rolle heraustreten und ihre eigene Situation reflektieren. Oscar Olivo, als Gast aus Hannover ein vielversprechendes, neues Gesicht für das Berliner Publikum, spielt den Cassio als Schwulen: mit viel Spielfreude tobt er über die Bühne. Auch wenn manche Kritiken ihm vorwarfen, dass er Klischees zu sehr auf die Spitze treibt, gelingt es ihm, die Balance zu wahren. Er tritt aus seiner Rolle heraus und spricht über seine Homosexualität, seine Migrations-Erfahrungen und das Ankommen in der Fremde.
Diese „Othello“-Inszenierung ist aber auch ein echter Gorki-Abend im schlechten Sinn. Die Lust an der Travestie und die komische Überzeichnung der Charaktere sind dem Stammpublikum vertraut. Diesmal überschreitet der Abend aber mehrfach die Grenze zum Klamauk. Aram Tafreshian muss seinen Fummel bei einer Kuss-Szene mit Othello ausziehen und darf sonst nur mit den Wimpern klimpern. Auch Falilou Seck hat als Emilia eine undankbare Nebenrolle erwischt.
Das Gorki polarisierte mit diesem „Othello“ sein Publikum: einige verließen das Theater kopfschüttelnd schon zur Pause, andere kicherten dankbar über jeden Gag. Zwischen all den angerissenen Motiven und lustigen Einlagen kam die erwartete Auseinandersetzung mit dem Rassismus etwas zu kurz. Einen großen Monolog zu diesem Thema darf immerhin die Hauptfigur Othello sprechen: in der Gorki-Textfassung von Voima klagt er über die Klischees besonderer „Animaliät“, die Männern aus fremden Kulturen zugeschrieben wird. Bei ihnen komme die „finsterste Natur“ noch ganz unmittelbar zum Ausbruch, das mache sie zu so tollen Liebhabern.
Als das Spekatakel in der zweiten Hälfte etwas zur Ruhe kommt, nimmt Jago (Wodianka) den Commedia dell´Arte-Faden wieder auf und philosophiert: Die ganze Welt ist eine Bühne, wir sind alle nur – mehr oder weniger gute – Schauspieler.Das Ensemble guckt betroffen und versammelt sich in der Bühnenmitte zum Chor: Wie weiter?
Der Vorhang senkt sich, die Frage bleibt offen. Der Eifersuchtsmord an Desdemona wurde kurzerhand gestrichen.
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