„Mustang“: packender Film über den Ausbruch von türkischen Mädchen aus ihrem Gefängnis

„Vorher waren wir frei und plötzlich wurde alles Scheiße“. So beginnt Lale (Güneş Nezihe Şensoy), ein Mädchen irgendwo tief in der türkischen Provinz, 1.000 km von Istanbul entfernt, ihren Bericht.

Mit dem Sommerferien-Spaß am Strand ist es für sie und ihre vier älteren Schwestern bald vorbei. Als sich eine Nachbarin über harmlose Spiele empört, bauen die Großmutter und der Onkel, bei denen die Mädchen nach dem Tod ihrer Eltern aufwachsen, ihr Haus zu einem lustfeindlichen Gefängnis um. Ein Stacheldrahtzaun wird errichtet und vom Computer bis zu Postern alles entfernt, was nur entfernt an westlichhe Konsumkultur und Hedonismus erinnert.

Die Schwestern werden in „hässliche, kackbraune Kleider“ gesteckt, wie Lale kommentiert, und in einer „Hausfrauenfabrik“ von der Welt abgeschirmt. Ihr ganzer Daseinszweck ist es, eine fromme Ehefrau zu werden. Eine nach der anderen wird zwangsverheiratet. Besonders demütigend sind die Jungfrauentests, denen zwei Schwestern im Lauf des Films unterzogen werden.

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Die Regisseurin Deniz Gamze Ergüven erzählt packend und in beeindruckenden Bildern vom Schicksal der Mädchen. Immer wieder gelingen ihr trotz des bedrückenden Themas auch komische Momente, z.B. als die Frauen im Dorf gemeinsam dafür sorgen, dass der verbotene Ausflug der Mädchen zu einem Fußball-Match unentdeckt bleibt.

„Mustang“ ist ein erstaunlich reifer Debütfilm einer Regisseurin, die 1978 in Ankara geboren ist und als Diplomatentochter in der Türkei, Frankreich und den USA aufwuchs. Bei der Premiere in Cannes gewann dieses Sozialdrama, das von französischen und deutschen Sendern wie ZDF und arte co-produziert wurde, zwei Preise in der Quinzaine des Réalisateurs, darunter den Preis des Europäischen Parlaments. Am Sonntag schaffte es der Film bis in die Endrunde der fünf Oscar-Kandidaten für den besten nicht-englischsprachigen Film.

Dieses beeindruckende Drama ist ein Höhepunkt des Kinojahres, den man auf keinen Fall verpassen sollte. In der Geschichte der Mädchen, die entfernt an Sofia Coppolas ebenso glänzendes Debüt „Virgin Suicides“ (1999) erinnert, spiegelt sich die Lage der Türkei: zerrissen zwischen westlichem Lebensstil in den weltoffenen Vierteln der Metropole Istanbul, wo dieser Film nach dem geglückten Ausbruch endet, und den rigiden islamischen Moralvorstellungen, wie sie auch von der AKP propagiert werden.

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Bemerkenswert ist außerdem die Nebenrolle von Burak Yiğit: in zahlreichen TV-Produktionen, vorzugsweise im „Tatort“, trat er als Ganove oder Dealer auf. Auch in Sebastian Schippers Kinohit „Victoria“ war er noch auf diese Rolle festgelegt. Im „Mustang“ spielt er als LKW-Fahrer Yasin einen der wenigen Sympathieträger in diesem Film. Der große Erfolg von „Mustang“ ist vielleicht für den deutsch-türkischen Schauspieler die Chance, aus der Schublade seiner Klischeerollen so erfolgreich auszubrechen, wie es Lale und einer ihrer Schwestern gelingt.

Der Film startete am 25. Februar in den deutschen Kinos: Webseite und Trailer zum Film

Bilder: © Weltkino Filmverleih

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