Ja, es gibt sie durchaus, die kleinen Perlen, die an diesem Abend für Glücksmomente sorgen. Danke, dass wir erleben durften, wie Sophie Rois ihre Mitspieler zu einem Chorgesang von Händels „Lascia ch’io pianga“ dirgiert oder wie sie ganz in Schwarz und mit Sonnenbrille ein italienisches Chanson singt. Danke, dass wir die große Fassbinder-Diva Irm Hermann mal wieder erleben durften, wie sie über die Bühne schreitet und angewidert-spöttisch die Glückskekse-Sprüche vorliest, die wir aus dem China-Restaurant um die Ecke kennen.
Diese Momente sind aber rar. Ansonsten schlurft der Abend über weite Strecken so dahin wie die vom Abschiedsschmerz gebeugten Gestalten auf der Bühne. Es wird wunderschön gesungen, aber wenig gesprochen, und wenn dann so sehr genuschelt, dass sich die älteren Semester, die an diesem Volksbühnen-Abend im Publikum dominieren, bei ihren Sitznachbarn noch mal rückversichern müssen, was sie hier verpasst haben.
Christoph Marthaler, der Meister der melancholischen Langsamkeit, hätte zum Abschied von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz noch mal einen wirklich denkwürdigen Abend auf die Bretter zaubern können. Immer wieder gelingen ihm auch solche Momente. Leider bleibt der restliche Abend aber zu sehr bei einer Kopie früherer Abende stecken.
Das weckt nostalgische Gefühle. Da „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ zu selten über eine MarthalerSelbstkopie hinauskommt, hätte die Volksbühne konsequenterweise auch gleich einen früheren Abend des Schweizer Regisseurs wie z.B. sein Berlin-Debüt „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“ wiederaufnehmen können.
Auch die mittlerweile in Volksbühnen-Inszenierungen üblichen kleinen Giftpfeile in Richtung des designierten Castorf-Nachfolgers Chris Dercon sind diesmal nicht so treffsicher wie gewohnt. Irm Hermanns Stoßseufzer „Ich hasse Wanderausstellungen“ verpufft recht schnell, als sie vom Hausmeister in seinem grauen Kittel (Marc Bodnar) aus einem der vielen Schränke gerollt wird. Dieser Gag, Schauspieler in Kisten, Schränken und Schubladen zu verstauen oder daraus hervorzuholen, kommt ein paar Mal zu oft an diesem Abend.
Plakatmotiv: Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz/LSD/Lenore Bievernicht
wöcki
Der Inhalt ist vielleicht schon dem Rotstift zum Opfer gefallen, die Gags und Slapsticks werden über mehr als 2 Stunden zerdehnt, die Talente reichlich verschleudert – ein Abend, der nur für die schon vorher Begeisterten Jubel auslöst.