Das HAU feiert den 100. Geburtstag von Peter Weiss mit einem Festival: neben einer Mammut-Lesung aus seinem Opus magnum „Ästhetik des Widerstands“ wurden zur Eröffnung auch zwei Auftragsarbeiten präsentiert.
Zum einen „Unsere Gewalt und eure Gewalt/Naše nasilje i vaše nasilje“ von Oliver Frljić. Der kroatische Regisseur machte sich mit „Balkan macht frei“ (2015 am Münchner Residenztheater) einen Namen. Das Stück polarisiert sehr stark: Der Abend ist für manche Zuschauer eine Zumutung, Franz Pätzold wurde jedoch von einigen Feuilletons als Theater-Ereignis gefeiert.
Das Berliner Publikum durfte also auf die Auseinandersetzung mit diesem umstrittenen Regisseur gespannt sein. Leider deutete sich schon in seinem kurzen Begleittext auf dem Programm-Zettel an, woran dieser Abend kranken würde. In einem Rundumschlag holt er gegen den „Faschismus“ aus. Darunter subsumiert er alles und jeden: den Kapitalismus, die Flüchtlingspolitik, die autoritären Regime in Osteuropa und die Wahlerfolge der AfD.
Frljić beruft sich auf Michel Foucault und zählt auf, wogegen er ankämpfen will: „der Faschismus in uns allen, in unseren Köpfen und in unserem alltäglichen Verhalten, der Faschismus, der bewirkt, dass wir die Macht lieben, dass wir ausgerechnet das wollen, was uns dominiert und ausbeutet.“
So platt sind leider auch die 75 Minuten auf der Bühne. Der Abend ist voll von hilflosem Pathos und auf Effekthascherei zielenden Provokationen, die nur müdes Abwinken hervorrufen. Es beginnt damit, dass die neun Schauspielerinnen und Schauspieler sich zu „Stille Nacht“ ausziehen. Uroš Kaurin spielt den Jesus: nackt am Kreuz, nur eine Deutschland-Flagge um die Lenden. (Bei der Uraufführung während der Wiener Festwochen war es noch eine österreichische.) Später vergewaltigt er eine Muslima. Dazwischen wird das Statement von Alvis Hermanis verlesen, mit dem er seine weitere Zusammenarbeit mit dem Hamburger Thalia Theater aufkündigte. Oder zur Abwechslung wird das gesamte Ensemble in die orangefarbenen Guantánamo-Häftlings-Overalls gesteckt, in die auch islamistische Terroristen ihre Geiseln hüllen, und Enthauptungen nachgestellt.
Therese Grindlstrasser hat die Probleme des Abends schon in ihrer Nachtkritik auf den Punkt gebracht: „Zum Beispiel die Vorhersehbarkeit der Pointen: Zunächst wird eine Schweigeminute für die Opfer der Terroranschläge in Paris und Brüssel eingelegt. Es folgt eine Schweigeminute für die vier Millionen Opfer in Afghanistan, Irak und Syrien, die europäische Kriege dort gefordert haben. Was inhaltlich eine wichtige und richtige Zusammen- und Gegenüberstellung von Verantwortlichkeit und Gedenkverhalten anzeigt, bleibt, weil formal vorhersehbar, weit weg vom westeuropäischen Wohlstandsherz im peinlichen Versuch stecken, Betroffenheit zu erzeugen.“
Dieser schwache Abend scheitert mit seinen plumpen Methoden daran, sein Publikum zum Nachdenken anzuregen.
Das zweite Auftragswerk des Peter Weiss-Festivals war „La dictadura de lo cool/Die Diktatur der Coolness“ der chilenischen Gruppe „La Re-Sentida“.
Berliner Theatergängern ist sie bereits vom F.I.N.D.-Festival 2015 mit ihrem wütenden Stück „La imaginación del futuro“ an der Schaubühne bekannt. Wenn „La-Resentida“ mit ihrem Turbo-Brachialtheater auf die Tube drückt, verblassen daneben Castorfs Volksbühnen-Exzesse zu einer zen-buddhistischen Meditation.
In ihrem neuen Abend am HAU lassen sie es über weite Strecken etwas ruhiger angehen, aber ihr Thema ist geblieben: ihre Wut über eine kraftlose linke Boheme, die es sich auf Partys und mit Kunst-Installationen bequem macht, anstatt gegen die soziale Spaltung zwischen Arm und Reich zu kämpfen.
Viele Motive des Abends stammen aus dem lateinamerikanischen Kontext. Explizit wird z.B. an die mexikanischen Studenten erinnert, die bei der Massenentführung von Iguala ermordet wurden.
Es gibt aber auch einige Anspielungs-Häppchen für das deutsche Publikum: die Putzfrau, die für einen Hungerlohn bei den Künstlern arbeitet, hielt eine Installation aus alten Flaschen für Müll und brachte sie weg. Beuys und seine Fettecke lassen grüßen. In Berlin freute man sich besonders über die Darstellung eines neuen Kulturministers, der zugleich ein ambitionierter Kurator ist. Er ist fleißig damit beschäftigt, die Leitung der kulturellen Einrichtungen in neue, am liebsten fachfremde Hände zu legen.
Weitere Informationen und Termine zum Festival
Bildrechte: Wiener Festwochen/Alexi Pelekanos für „Unsere Gewalt und eure Gewalt“ bzw. „La Re-sentida“ für „Die Diktatur der Coolness“
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