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Die Idee, die Integrationspolitik mit einer satirischen Revue in Franz Wittenbrinks bewährtem Stil zu reflektieren, weckt Vorfreude. Der Regisseur hat auch zuletzt mit „Schlafe, mein Prinzchen“, das leider nur wenige Vorstellungen am Berliner Ensemble erlebt hat, bewiesen, dass er dafür der richtige Mann sein könnte. Es gelang ihm damals, zum heiklen Thema Missbrauchsskandale mit dem nötigen Fingerspitzengefühl einen klugen und funkensprühenden Abend zu machen.

Leider bleibt das Ergebnis hinter den Erwartungen zurück. Christoph Twickel (ZEIT Online) und Falk Schreiber (Nachtkritik) legten schon nach der Premiere den Finger in die Wunde: der Abend hat eine ziemlich deutliche Schlagseite. Statt des angekündigten Rundumschlags arbeitet sich das St. Pauli Theater überraschend einseitig an den zahlreichen Ehrenamtlichen ab, die mit einem gewaltigen Kraftakt dafür sorgten, dass der Höhepunkt des Zustroms der Flüchtlinge im vergangenen Herbst und Winter trotz Verwaltungs-Versagen (Lageso) in halbwegs geordneten Bahnen bewältigt werden konnte.

Am schlechtesten kommt die KuWi-Studentin Sandra (ohne Nachnamen, gespielt von Victoria Fleer) Weg: als Karikatur mit Hornbrille und Wollpulli kräht die Dauernervensäge ständig dazwischen, dass es „Geflüchtete“ heißen muss. Als Popanz wird auch Charlotte Möller (Susanne Jansen) aufgebaut: die Vorsitzende der Initiative ist eine gelangweilte Wohlstandsbürgerin mit ausgeprägtem Alkoholproblem, die den südsudanesischen Asylbewerber vor allem deshalb bei sich aufnimmt, da schwarze Männer so gut bestückt sein sollen.

WILLKOMMEN - Ein deutscher Abend - St.Pauli Theater

Wittenbrinks neuer Abend ist vor allem mit dem Holzhammer gearbeitet und setzt zu selten das Florett ein. Es gibt schon gute Gründe für Christoph Twickels Sichtweise, dass dieser Abend AfD-Anhänger erfreuen dürfte. „Dem Wahnkonstrukt vom Gutmenschendeutschland, das von Dresden bis Heidenau besorgte Bürger antreibt, verfällt auch Wittenbrinks Liederabend mit Haut und Haaren. Kurz: Wittenbrink traut sich etwas – Hamburg hat sein erstes Musical für AfD-Anhänger“, schloss er seine Kritik im September. Wie Falk Schreiber gestern konstatierte, lässt der Abend Vielschichtigkeit vermissen, so dass das Ergebnis unterkomplex bleibt.

Nach der gestrigen Vorstellung wollten Regisseur Wittenbrink, Intendant Ulrich Waller und Schauspieler Stephan Schad unter Moderation der NDR-Journalistin Catarina Felixmüller mit den beiden Kritikern diskutieren. Leider versank die Runde recht schnell in persönlichen Angriffen, die Theater-Vertreter verschanzten sich in einer trotzigen Wagenburg-Haltung. Die klügsten und differenziertesten Beiträge kamen aus dem Publikum.

Wittenbrinks „Willkommen – Ein deutscher Abend“ hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Sehr unglücklich war schon die Entscheidung, im Programmheft explizit den polemischen Kampfbegriff „Gutmensch“, das aktuelle Unwort des Jahres, zu verwenden. Fragen wirft auch das Bühnenbild auf: die Uhr in der Turnhalle zeigt 5 vor 12. Die Heim-Mannschaft liegt mit 1:2 zurück.

Leider hat der Abend mit seinen zu platten Gags und seinem Zaunpfahl-Winken nach Rechts die Chance verpasst, eine interessanten, differenzierte Auseinandersetzung mit den unübersehbaren Problemen und blinden Flecken der Flüchtlings- und Integrationspolitik zu liefern.

Premiere war am 14. September 2016 im St. Pauli Theater Hamburg. Weitere Informationen und Termine

Bilder: Oliver Fantitsch

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