Gegen den Hass

In den vergangenen Jahren war es schon eine kleine Tradition, dass das Deutsche Theater Berlin den aktuellen Preisträger dem Berliner Publikum kurz nach der Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche präsentieren durfte.

2016 lief es anders: Carolin Emcke hatte mit ihrem Buch „Gegen den Hass“ ein Heimspiel in ihrem zweiten Wohnzimmer, der Schaubühne am Lehniner Platz, wo sie monatlich ihre Sonntags-Matinee „Streitraum“ moderiert. Am Deutschen Theater stellte parallel Christian Kracht seinen Roman „Die Toten“ vor, der die Feuilletons polarisierte: von hymnischer Begeisterung bis Verrissen war alles dabei.

Auch ansonsten war die Veranstaltung in diesem Jahr ungewöhnlich: Als die Entscheidung im Frühjahr bekannt gegeben wurde, dass die Publizistin und Philosophin Carolin Emcke geehrt wurde, gab es allgemein beifälliges Nicken. Die Autorin hat sich durch einfühlsame Kriegsreportagen (vor allem für den SPIEGEL) und kluge Essays, in denen sie politische Themen und private Erfahrungen von Diskriminierung analysierte.

Nach ihrer Festrede entlud sich ein Gewitter aus negativen Kommentaren über Emcke, das in dieser Wucht und Häme überraschend kam. So viel Wirbel gab es seit Martin Walsers Räsonieren über Auschwitz als „Moralkeule“ 1998 und seiner anschließenden Kontroverse mit Ignatz Bubis lange nicht mehr nach einer Friedenspreis-Rede, die meist als Sonntagsreden schnell abgetan und abgeheftet wurde.

Carolin Emcke war nach dem Buchmessen-Marathon nicht nur erkältet, sondern wirkte auch von den Kritiken der vergangenen Tage sichtlich verletzt. Im Gespräch mit René Aguigah, dem Ressortleiter für Kultur und Gesellschaft beim Deutschlandradio Kultur, spielten beide immer wieder auf Adam Soboczyinskis Verriss ihres Buches „Gegen den Hass“ in der ZEIT an. Er warf ihr eine „ärgerliche Redundanz eher selbstverständlicher Überlegungen“ vor und fühlte sich vom „Poststrukturalismus“ ihrer Analysekapitel an Proseminare der achtziger und neunziger Jahre erinnert.

Margarete Stokowski stellte in ihrer SPIEGEL Online-Kolumne weitere Beispiele zusammen: Thomas Schmid warf Emcke in der WELT beispielsweise vor, dass ihre Gedanken und Texte „ärgerlich“ und „unterkomplex“ seien.

Differenzierter urteilte Danilo Scholz in der taz: ihre Kritiker machten es sich zu einfach, aber auch er stört sich an „abgegriffenen Formulierungen“ und kann mit dem „emphatisch-einfühlsamen Sound des humanitären Journalismus“ wenig anfangen. Emckes Kriegsreportagen erinnern ihn an den in die Jahre gekommenen Altmeister des britischen sozial-engagierten Kinos und seien „Ken-Loach-Journalismus für das Zeitalter globaler Instabilität“.

Die spannende Frage blieb auch nach dieser Buchvorstellung unbeantwortet: Woher kommen diese negativen Emotionen, aus denen manchmal fast schon regelrechter Hass herauszulesen ist?

Die Veranstaltung am Mittwoch in der Schaubühne stand im Schatten dieser Auseinandersetzungen und schlug selbst kaum größere Wellen. Carolin Emcke las eine längere Passage über die Polizeigewalt an einem Schwarzen in den USA, mit der sie den Vorwurf des institutionalisierten Rassismus belegt, und kürzere Abschnitte vom Anfang (Reflexion über den „Sommernachtstraum“) und vom Ende des Buchs.

Vor dem Hass der „besorgten Bürger“, denen Emcke vorwarf, dass sie diese harmlos klingende, klug gewählte Selbstbezeichnung als „rhetorischen Schutzschild für ihren Rassismus“ nutzen, stehen wir ähnlich ratlos wie vor der Wutwelle, die über der Publizistin in den vergangenen Tagen zusammenschwappte.

Bild: Andreas Labes, 2011

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