Gysi trifft Pleitgen

„Jetzt werfen Sie das Handtuch!“, grinst Fritz Pleitgen. Der langjährige WDR-Intendant und Auslands-Korrespondent hat etwas geschafft, was bisher nur wenigen gelang: Gregor Gysi kam kaum zu Wort.

Nach anderthalb Stunden stöhnte Gysi mit dem Blick auf seine Karteikarten: Ich bin erst bei Nr. 8 von 34! Pleitgen schöpfte aus einem prallvollen Anekdoten-Reservoir eines langen Reporterlebens. und antwortete so detailreich auf Gysis Einwürfe, dass die beiden zu diesem Zeitpunkt bei ihrem Streifzug durch Pleitgens Biografie immer noch in den 1970er Jahren feststeckten, als der Journalist für die ARD aus Moskau berichtete.

Es ist schon eine sehr ungewöhnliche Karriere, die Pleitgen hinlegte: er stammt aus armen Verhältnissen und wurde 1938 in Duisburg geboren. Die Bombenangriffe der Alliierten auf die Krupp-Stadt Essen überlebte er knapp. Ähnlich dramatisch war die Flucht der Familie aus dem vermeintlich sicheren Schlesien ins westfälische Bünde.

Dort verdiente sich Pleitgen als freier Mitarbeiter der Lokalzeitung erste Sporen: er berichtete von Schützenfesten und Kreisliga-Spielen, bald darauf ging er ohne Abschluss von der Schule ab und absolvierte ein Volontariat.

Pleitgen schilderte die Glücksfälle seines Lebens: ein Anruf aus Köln lockte ihn in die WDR-Nachrichtenredaktion. Da es damals noch kein so dichtes Korrespondenten-Netz wie heute gab, sicherten ihm ein paar flotte Sprüche die Möglichkeit, als Reporter nach Zypern zu reisen und vom Sechs-Tage-Krieg zu berichten.

Eine Bewerbung habe Pleitgen in seinem Leben nie geschrieben, behauptete er. Dennoch ging sein Aufstieg steil weiter. In der Breschnew-Ära wurde er nach Moskau geschickt: eine Mission, für die es einige Nervenstärke brauchte. Meist wurden seine Anfragen für Drehgenehmigungen abgelehnt. Der Wind drehte sich, als Pleitgen auf einem Militärflughafen von Ferne Leonid Breschnew zurückwinkte, einfach über die Absperrung stieg und auf den Staatschef zuging. Das Foto dieser kuriosen Begegnung habe ihm nachher viele Türen geöffnet, berichtet Pleitgen – bis hin zu einem Exklusiv-Flug für ihn und seinen Filmbeutel mit einer Tupolew von Moskau nach Bonn.

Auffällig war, wie wohlwollend Pleitgen über den russischen Staatschef Putin sprach. Er äußerte Verständnis dafür, dass Russland seiner Ansicht nach das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine nicht akzeptieren konnte, und zeigte auch an anderen Stellen des Gesprächs überraschend viel Verständnis für Putin.

Unter noch schwierigeren Bedingungen als in den Moskauer Anfangsjahren musste Pleitgen in Ost-Berlin arbeiten. Sicher hätte es auch aus seinen Jahren als Korrespondent in Washington, als Intendant in Köln oder als Geschäftsführer der Kultuhauptstadt RUHR.2010 noch manches zu erzählen gegeben. Aber dafür reichte die Zeit nicht mehr: Gysi verließ seine Matinee im Deutschen Theater fast schon fluchtartig und eilte zum nächsten Termin.

Bild: Deutsches Theater Berlin

 

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