Drei Pferdekadaver präparierte die flämische Skulpturen-Künstlerin Berlinde de Bruyckere auf der Bühne im Haus der Berliner Festspiele.
Die acht Tänzer und ihre Kollegin umkreisen diese Installation nicht wie das sprichwörtliche Goldene Kalb, sondern sind über weite Strecken der 100 Minuten vor allem mit sich selbst beschäftigt. Sie zerren aneinander, verknäulen sich zu großen Gruppen oder ringen im Zweikampf miteinander, zerreissen sich gegenseitig Shirts und Hosen und werfen sie in hohem Bogen weg. Aus ihren schmerzverzerrten Gesichtern sprechen Angst und Verwirrung, die brutale Gewalt entlädt sich schubweise – unterbrochen von ruhigeren, friedlichen Passagen.
Alain Platel und sein Ensemble les ballets C de la B ließen sich von Gustav Mahlers spätromantischer Musik und Philipp Bloms umfangreicher Geschichtsreflexion „Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 – 1914“, die von den meisten Feuilletons 2009 sehr positiv besprochen wurde. Wie schon in seiner Arbeit „Coup fatal“ mixt er wieder Musik aus anderen Traditionen und Kontinenten, vor allem aus Afrika, dazwischen, aber Mahlers Klänge bleiben dominant.
Die Gewalt eskaliert in der Schluss-Szene, in der David Le Borgne zu Boden geworfen wird. Die gesamte Gruppe zerrt an ihm, deutet an, dass ihm die Haut abgezogen wird, schleppt ihn über die Bühne und legt ihn vor den Pferdekadavern ab. Auffällig ist, dass Le Borge neben Romain Guion der zweite hellhäutige, blonde Franzose ohne Migrationshintergrund im Ensemble ist und beide Opfer einer Gruppe werden, die vor allem aus Schwarz- und Nordafrikanern besteht. Was wollten uns Alain Platel und sein Team damit sagen: Ist das wirklich nur Zufall? Oder teilen sie die Furcht vor Überfremdung und vor Übergriffen, die Marine Le Pen im Präsidentschaftswahlkampf schürt und die in Deutschland vor allem seit der Silvesternacht 2015/16 wuchs? Oder soll das zum Widerspruch herausfordern? In einer Interview-Passage im Programmheft sagte Platel, dass er keineswegs ein großartiges politisches Statement abgeben möchte, zum Beispiel über Postimperialismus oder Postkolonialismus: „Lasst uns auf dem Teppich bleiben, sage ich mir und den Tänzern oft. Ist es ein Statement, dass wir zwei schwarze Tänzer haben? Dass ein Muslim und ein israelischer Tänzer dabei sind? Dass unter all diesen Männern eine einzige Frau tanzt? Nein, absolut nicht. Jeder auf der Bühne soll einfach er selbst sein.“
Jenseits dieser offenen Fragen bleiben von „nicht schlafen“ beeindruckende Bilder einer assoziativen, stark verdichteten Choreographie über taumelnde, unsichere, ihre Aggressionen ungehemmt aneinander auslassende Männer im Gedächtnis.
Bilder: Chris van der Burght