Auerhaus

»Das kommt nicht dran, das müssen wir nicht wissen“, äfft Lisa Hrdina die angepassten Jugendlichen vor der Klassenarbeit nach, deren Leben wie mit einem Autopiloten gesteuert einer vorgezeichneten Bahn folgt: Abitur, Studium, dann übernehmen sie Kanzlei oder Arztpraxis ihrer Eltern. Fragen, welchen Sinn das Ganze haben soll, stören da nur.

Mit diesen Mitschülern wollen die sechs Bewohner der „Auerhaus“-WG nichts zu tun haben. Irgendwo in der schwäbischen Provinz machen sie es sich als grüblerische Aussteiger und merkwürdige Einzelgänger gemütlich. Sie klauen, feiern, essen und diskutieren zusammen. Vergeblich versuchen sie, sich gegenseitig halt zu geben: vor allem der depressive Frieder, den alle in der Schule nur „den Bauern“ nennen, hat die Unterstützung nach seinem Suizidversuch dringend nötig.

Frieder (Christoph Franken) und Höppner (Marcel Kohler) sind der Kern dieser Clique. Auf der fast leeren, nach hinten stark erweiterten Bühne verzetteln sie sich in langen Dialogen über die Nöte des Erwachsenwerdens, über ihre Unsicherheit gegenüber den Mädchen und über ihre Zukunftspläne.

Wie sooft bei Romanadaptionen stellt sich das grundsätzliche Problem: Wie soll man einen Text, der nicht für die Bühne geschrieben wurde, angemessen dramatisieren? Regisseurin Nora Schlocker und Birgit Lengers setzen in ihrer Fassung von Bov Bjergs Coming of Age-Bestseller „Auerhaus“, der im Winter 2015 vom Literarischen Quartett bejubelt wurde, auf das Atmosphärische statt einer Nacherzählung. Bis auf die Silvesterparty, in die das Publikum unmittelbar nach der Pause hineingerät, wählen sie bewusst sehr karge Mittel. Der Abend gerät deshalb allerdings sehr spröde und weist zu viele Längen auf. Leider wurde er noch kurz vor der Premiere von den angekündígten 135 Minuten auf 150 Minuten gestreckt.

Auerhaus

Auf der Zielgeraden gibt es noch mal einen starken Moment, als Marcel Kohler in der Rolle des Höppner sich ausmalt, wie ein Happy-End aussehen könnte: glückliche Paarbeziehungen und erfolgreiche Karrieren in spannenden Berufen denkt er sich für seine neben ihm aufgereihten Mitbewohner aus, er selbst möchte am liebsten Hausmann sein. Im nächsten Moment landet er wieder in der tristen Realität: die WG wird vor Gericht für ihre Delikte zur Rechenschaft gezogen und fällt auseinander. Nicht mal Frieders Suizid ließ sich verhindern.

Dass der Abend nicht in der Gegenwart spielt, merkt man nur in den Szenen, in denen sich Höppner dem seit 2011 ausgesetzten Zwangsdienst bei der Bundeswehr entziehen möchte und – wie so viele in den 80ern – über einen Umzug nach West-Berlin nachdenkt. Konsequent vermeidet Nora Schlocker alle weiteren Bezüge zu diesem bunten Jahrzehnt, die Schauspieler trágen unauffällige Alltagsklamotten und nicht mal der Ohrwurm „Our house“, auf den der Titel anspielt.

„Auerhaus“ hatte am 21. Mai 2017 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Premiere. Weitere Informationen und Termine

Bilder: Arno Declair