tt 2017: Die Vernichtung aus Bern

Ästhetisch war Ersan Mondtags „Die Vernichtung“ bemerkenswert: die Paradieslandschaft mit der Schaukel und der griechischen Statue in ihren Idealmaßen ist ein hübsch anzusehendes Idyll. Alles ruht beschaulich zu den Klängen des „deutschen Requiems“ von Johannes Brahms, bis die vier Spielerinnen und Spieler (Deleila Piasko, Jonas Grundner-Culemann, Lukas Hupfeld und Sebastian Schneider) aus dem Bogen eines hell erleuchteten, sakral wirkenden Fensters auf die Bühne purzeln. Sie tragen kunstvoll verzierte Bodysuits, die sie wie nackte Adams und Evas mit Bauchmuskeln, auf die auch ein Olympiasieger stolz wäre, wirken lassen.

Ersan Mondtag, Shooting-Star der Theaterszene, der nach „Tyrannis“ zum zweiten Mal in Folge zum Theatertreffen eingeladen ist, lässt seine vier narzisstischen Adonisse mit ihren perfekt sitzenden Waschbrettbauch-Attrappen elegant wie in Zeitlupe durch ihren Garten Eden wandeln. Für die ästhetischen Ideen seines Bühnenbilds und seiner Kostüme, die der Regisseur entwarf, verdient Mondtag Anerkennung.

Inhaltlich bleibt der Abend jedoch mager. Er kommt nicht über ein Spiegelbild einer narzisstischen Generation Berghain hinaus, die sich in Drogentrips und Sexorgien stürzt, ohne ihrer inneren Leere entfliehen zu können. Bei ihren exzessiven Partys setzen sie sich genauso unter Hochleistungsdruck wie bei kreativen Jobs, über die sie sich im klischeestrotzenden Business-Meeting-Sprech austauschen.

Die Beziehungsunfähigkeit und den Narzissmus neurotischer junger Großstädter hat Falk Richter vor einigen Jahren in „Never forever“ an der Schaubühne tiefgründiger und auf höherem künstlerischem Niveau analysiert. Zum selben Thema kann man sich derzeit auch bei Lars Montags Roman-Adaption „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ unterhalten lassen. Trotz der ansprechenden ästhetischen Reize entlockt „Die Vernichtung“ aus Bern einigen im Publikum nur ein Gähnen, andere fliehen beim minutenlangen, schweißtreibenden Rave der Performer kurz vor dem Finale.

Die Vernichtung

Ein Besucher grollte: „So ein Sch…! Wie kann man so etwas nur einladen?!“ Ganz so verheerend war dieser Abend nicht. Er fügt sich recht nahtlos in die Riege der mäßig überzeugenden Experimente ein, die in diesem Jahr zu sehen war. „Die Räuber“ aus München, die aus technischen Gründen nicht gezeigt werden konnten, wurden schmerzlich vermisst!

„Die Vernichtung“ von Ersan Mondtag und Olga Bach wurde am 15. Oktober 2016 am Konzert Theater Bern uraufgeführt und war am 20./21. Mai 2017 zum Theatertreffen eingeladen

Bilder: Birgit Hupfeld

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