Anschlag

Ganz bewusst stehen hier Banalitäten des Alltags neben den Schreien der Opfer des IS-Anschlags auf den Pariser Club Bataclan im November 2015. Die vier Schauspielerinnen springen unvermittelt vom kleckernden Eis eines Kindes oder einer langen Passage, die über Marienkäfer räsoniert, zu den Bruchstücken der Chronologie des Attentats auf den ausverkauften Konzertsaal.

Krzystof Minkowski verzichtet in seiner Inszenierung von Johannes Hoffmanns Text „Anschlag“ auf jegliche Requisiten bis auf Lichteffekte und Tonband-Einspieler. Über die kahle Bühne zucken Stroboskop-Blitze, während Maschinengewehr-Salven donnern. Wenn der vierköpfige Chor schreiend von „Blut“ und „Panik“ berichtet, wird das Studio in Rot getaucht. In den stilleren Momenten wird das Licht stark gedimmt, die Spielerinnen kehren dem Publikum den Rücken zu. Diese Effekte setzt der Regisseur mit einem guten Gespür für Rhythmus ein.

Der Schrecken der Augenzeugenberichte, die von den Spielerinnen im Chor oder abwechselnd vorgetragen werden, bildet das Herzstück dieses Abends. Was die Opfer des Attentats erlebt haben, lässt sich zumindest annäherungsweise nachempfinden. Wie Nachtkritik und Berliner Zeitung kritisierten, bleibt aber die angekündigte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Motiven der Terroristen aus: „Wer waren die Attentäter? Was war ihr Motor und wie wurden sie von Zeugen und Opfern wahrgenommen? Was braucht ein Mensch, um auf unschuldige Menschen schießen zu können?“ Mit diesen offenen Fragen bahnt sich das Publikum den Weg aus dem kleinen Studio des Heimathafens Neukölln durch die lange Schlange der Partygänger und Konzertbesucher, die sich auf den Auftritt des schwedischen Sängers Hakan Hallström freuen. So erwartungsvoll und ausgelassen war vermutlich auch die Stimmung an jenem Abend vor dem Bataclan, bevor das „Eagles of Death Metal“-Konzert in einem Blutbad endete.

„Anschlag“ hatte am 20. Mai 2017 im Studio des Heimathafens Neukölln Premiere

Bild: Konrad Schaller

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