Drei Hauptdarsteller prägen Jan Bosses Inszenierung des Shakespeare-Klassikers „Richard III.“, mit der Anselm Weber als Nachfolger des ans Berliner Ensemble abgewanderten Oliver Reese seine Intendanz am Schauspiel Frankfurt eröffnete:
Erstens das Raumkonzept des Bühnenbildners Stéphane Laimé, mit dem Bosse schon seit seiner Diplominszenierung vor 30 Jahren zusammenarbeitet. Die beiden nutzen den gesamten Raum der größten deutschen Sprechtheaterbühne: Das Publikum ist in vier Blöcken rund um den aufgeschütteten Grabhügel im Zentrum angeordnet, auf dem nicht nur Richards Opfer landen, sondern unter dem auch er selbst am Ende versinkt. Aber auch die beiden Längsseiten werden in das Spiel einbezogen: Dort thront zu Beginn König Edward, meilenweit entfernt vom Geschehen. Ein eindrucksvolles Bild dafür, dass er nie das Heft des Handelns in der Hand hat. Später zieht sich Richard mit zwei Geistlichen in Ku-Klux-Klan-artigen Kutten (die einzige Anspielung auf Trump) zum Gebet dorthin zurück. Er lässt sich lange bitten und betteln, bevor er wieder ins Zentrum zurückkehrt, das der Meisterintrigant natürlich nie wirklich preisgegeben hat.
Die gewaltige Breite der Spielfläche dürfte Theatertreffen-Chefin Yvonne Büdenhölzer einige Schweißperlen auf die Stirn treiben. Sollte dieser „Richard III.“ im nächsten Jahr als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen ausgeladen würde, dürfte es ihr einiges Kopfzerbrechen bereiten, eine Bühne mit den passenden Maßen zu finden, auf der sich die Wirkung dieses Raumkonzepts entfalten kann.
Zweite Hauptdarstellerin ist Mechthild Großmann. Es vergeht eine ganze Weile, bis aus der dunklen Tiefe des Raumes zum ersten Mal ihre unverkennbare, tiefe, rauchgeschwängerte Stimme ertönt. Sie ist eine ideale Besetzung für die Doppelrolle als Königin Margaret und der Herzogin, Richards Mutter. Ihre Schimpftiraden und Verwünschungen werden zu einem eindrucksvollen Rache-Furienauftritt. Es wäre schön, wenn sie neben ihrer TV-Rolle als Staatsanwältin Wilhelmine Klemm in der Tatort-Comedy aus Münster auch wieder öfter auf der Bühne zu sehen wäre. Dort liegen ihre Wurzeln, in den 70er Jahren spielte sie in Bremen, bei Claus Peymann in Stuttgart, bei Peter Zadek in Bochum und war ab 1976 auch Mitglied in Pina Bauschs Ensemble.
Der dritte Hauptdarsteller hat Mühe, sich neben den beiden anderen Hauptdarstellern durchzusetzen. Wolfram Koch, auch er ein bekannter Theater- und Fernsehstar, braucht in der ersten Hälfte einige Zeit, in die Rolle hineinzufinden. Seinem Richard fehlt das Diabolische und Abgründige. Erst nach der Pause wird er stärker. Sein „Richard III.“ lässt die klaren Konturen vermissen, die andere Schauspieler dieser Figur gaben: Lars Eidinger stürzte sich in Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierung auf den Narzissmus des Tyrannen und machte daraus eine großartige Solo-Show, Jörg Pohl spielte den Richard bei Antú Romeru Nunes am Thalia Theater als Springteufel und Horrorclown.
Jan Bosse und seine Dramaturgin Gabriella Bussacker übersetzten den Shakespeare-Klassiker in zeitgemäße, oft pointiert-zugespitzte Dialoge und bauten um ihre drei Hauptdarsteller eine sehenswerte Inszenierung. Aus Berliner Sicht ist vor allem noch Samuel Simon erwähnenswert, der an Peymanns BE in Robert Wilsons „Faust I und II“-Musical und in der Ernst Busch-Produktion „Der entfesselte Wotan“. Er spielt den Thronfolger Yorck als altkluges Kind mit einer großen Portion Komik und taucht noch in weiteren kleinen Rollen auf.
Zum großen Finale versinkt die Bühne im Nebel des Schlachtengetümmels. Gehörnt und maskiert springen die Schauspieler über die Laufstege durchs Publikum und raunen uns ein „Memento mori“ ins Ohr. Der Richard ruft noch verzweifelt nach seinem berühmten Pferd, hat sich aber längst sein eigenes Grab geschaufelt und versinkt in einem Glaskasten tief unter dem Erdhügel.
Man hört Wolfram Koch als Richard noch lange in den Katakomben undeutlich zetern, während oben schon Heiko Reulin (in einer Doppelrolle als Richmond und Buckingham) die Königswürde übernimmt. Er trägt nicht nur Richards Outfit: den mit Kissen ausstaffierten Buckel, den schlecht sitzenden, grauen Sparkassenfilialleiter-Anzug, die rote Martin Schulz-Krawatte aus der ersten Hälfte und die silberne Fantasy-Glitzer-Maske aus dem zweiten Teil. Er wiederholt auch den berühmten Eröffnungsmonolog Richards vom „Winter unseres Missvergnügens“. Jan Bosse macht mit diesem klugen Ende klar: die Schreckensherrschaft ist nicht vorbei, der Tyrann ist gestürzt, aber der Nachfolger bereits aus den Kulissen getreten. Er legt damit offen, was heute oft vergessen wird: der „Richard III.“ ist nicht nur eine überzeitliche Studie über Macht und Gewalt, sondern diente der Tudor-Dynastie damals auch als Propaganda, mit der sie ihre Vorgänger in den Schmutz ziehen und sich selbst in umso hellerem Licht erstrahlen lassen wollte.
Bilder: Arno Declair