Orestie

Zwei Welten treffen im Thalia Theater aufeinander: Hier die klassische Tragödien-Trilogie „Orestie“ des Aischylos aus der griechischen Antike, die mit strengem Ernst die großen Fragen von Schuld, Gerechtigkeit und moralischer Verstrickung verhandelt. Dort die überschäumende Phantasie von Regie-Shootingstar Ersan Mondtag und seinem Kostümbildner Josa Marx, die gemeinsam schon die Sophokles-Überschreibung „Antigone und Ödipus“ am Gorki Theater stemmten.

Sie lassen ihr Ensemble inmitten eines amphitheaterartigen Halbrunds langsam auf der Drehbühne kreisen und haben die kaum unterscheidbaren Spielerinnen und Spieler in Rattenkostüme mit langen Barthaaren und Schwänzen gesteckt. Aus der Gruppe sticht die Iphigenie heraus, die in grellem Pink vorne an der Rampe ihr Schicksal bejammert, dass sie vom Vater Agamemnon geopfert werden soll.

An den Rändern postiert sich ein Gesangschor, der mit starken Solistinnen und einer großen Homogenität eine sakrale Stimmung verbreitet und die weihevolle Atmosphäre der Aischylos-Übersetzung von Walter Jens unterstreicht.

Die Orestie von Aischylos Regie Ersan Mondtag

Man mag es kaum glauben, aber die Versuchsanordnung so unterschiedlicher Welten und Stilmittel funktioniert in der ersten Stunde sehr gut. Die Präzision des chorischen Sprechens ist beeindruckend, hier wurde offensichtlich in den Proben bis ins Detail gefeilt. Die Synthese aus ernster griechischer Tragödie und Tierkostümen wird im 1. Teil der Trilogie, die Klytaimnestras Mord an Agamemnon erzählt, konsequent durchgehalten.

Nach der Pause hat die Abrissbirne das Amphitheater niedergewalzt. Der Chor lehnt sich aus grauen Vorstadt-Fenstern mit geschmacklosen Blumenkästen und beobachtet, wie sich Elektra (Björn Meyer mit einem Ungetüm aus Zöpfen und Strähnen) und Orest (Sebastian Zimmler) in Slapstick-Manier als Geschwister erkennen und den Mord an der Mutter planen, um den Vater zu rächen. Dieser Mittelteil der Trilogie droht abzusaufen. Es mag auch unter den besonders widrigen Bedingungen einer Sonntag Nachmittag-Vorstellung gelegen haben, aber das Publikum blieb nicht bei der Sache. Ständiges Tuscheln und Rascheln, die Szenen zogen sich in die Länge.

Der Abschluss der Trilogie wird durch das Räumkommando der Bühnen-Arbeiter eingeläutet: sie legen die Vorstadttristesse in Trümmer und schubsen das Geschwisterpaar Orest/Elektra vor den roten Vorhang. Spätestens als die beiden kurz im Bühnenboden versinken und gleich wieder auftauchen, ist klar: Jetzt wird die klassische Tragödie zur Farce.

Eine Angela Merkel-Karikatur (mit Raute und hängenden Schultern) schiebt den viel zu großen Thron der Göttin Athene ins Zentrum und erteilt den Zeugen und Geschworenen das Wort. Bei Aischylos sorgt ihr Richterspruch für Frieden und Gerechtigkeit, der Fluch über der Familie der Atriden ist gebannt. In Mondtags polemischer Interpretation steht die Merkel/Athene im Mittelpunkt, aber keiner hört ihr zu. Fast so einsam wie bei den Jamaika-Sondierungen kann sie sich gegen das Stimmengewirr nicht mehr durchsetzen. Sie resigniert, kippt um und kreist mit den anderen Figuren auf der Drehbühne, bis sich der Vorhang langsam schließt. Die Welt ist ein Rattenloch, Recht und Gerechtigkeit können wir uns abschminken: so lautet das Fazit von Ersan Mondtags „Orestie“.

Bild: Armin Smailovic

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