„Ich bin so verzweifelt. Ich bin so verzweifelt“, seufzt Ex-Volksbühnen-Diva Kathrin Angerer in ihrem Hamburger Exil.
Was macht ihr nur so zu schaffen? Zunächst einmal der Chor aus 18 revolutionären Guerilla-Kämpferinnen, die in voller Montur und mit Maschinengewehr zwischen drei Riesen-Kanarienvögeln über die Bühne marschieren und die vier armen Schauspieler in bewährter Pollesch-Manier über die Bühne jagen. „Ich bin hier der Mann“ verkünden sie postfeministisch in barschem Befehlston.
Dazu kommt noch die scheiternde Kommunikation mit den drei Mitstreitern, auch dies ein zentrales Thema in fast jedem Pollesch-Stück: ihr Berliner Kollege Daniel Zillmann, der die letzten zwei, drei Jahre von Castorfs Ära am Rosa Luxemburg-Platz entscheidend mitgeprägt hat, sowie ihre beiden Hamburger Kolleginnen Sachiko Hara und Bettina Stucky plaudern über Filme, über Nachbarn, über Gott und die Welt. Ihr Drama: sie können sich nicht verstehen, weil ihnen der Chor ins Wort fällt und alle niederbrüllt.
„Es geht beim Sprechen nicht darum, gehört zu werden“, philosophiert Angerer. Stucky pflichtet ihr bei: „Und das entlastet mich wirklich. Dass du nicht unbedingt gehört werden willst und dass das hier nicht unbedingt ein Gespräch werden soll, Liebling, das entlastet mich so.“
Drittens leidet Angerer daran, dass sie in die Rolle der „Gloria“ aus dem gleichnamigen Kino-Melodram von John Cassavetes aus dem Jahr 1980 schlüpfen und mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen hat. Auch dies ist ein bewährtes Stilmittel der Pollesch-Abende: Filmzitate mit Alltagsgesprächen und soziologischen/philosophischen Diskursschnipseln zu verschneiden, die laut Programmheft diesmal vor allem von Alain Badiou, Diedrich Diedrichsen und Jaques Lacan stammen. Die „Gloria“-Bruchstücke geben „Ich kann nicht mehr“ eine ungewohnt sentimentale Note.
Dennoch ist „Ich kann nicht mehr“, das im Februar 2017 in Hamburg Premiere hatte, einer der amüsantesten Pollesch-Abende seit längerer Zeit. Das liegt vor allem daran, dass er nicht von dem Abschiedsschmerz und dem Verlust der künstlerischen Heimat am Rosa Luxemburg-Platz überlagert ist, der seine letzten Volksbühnen-Abende und insbesondere die Trilogie mit den drei Cowboys prägte.
Dieser Abend ist stattdessen ein spielfreudiger Remix bewährter Stilmittel und Motive, der seinem Publikum wieder mal einige typische Pollesch-Merksätze zum Aufschreiben und Einrahmen mit auf den Weg gibt: „Theaterabende sind wie das Leben. Wenn man sich nicht fest darauf verlassen könnte, dass sie mit Sicherheit irgendwann ein Ende haben werden, könnte man sie überhaupt nicht aushalten.“
Bilder: Thomas Aurin