Die Juden-Monologe

Mit zwei knapp einstündigen Uraufführungen startete das Gorki-Theater heute Abend seine „Radikalen Jüdischen Kulturtage“ im Studio Я.

„Die Geschichte vom Leben und Sterben des netten Juppi Ja Jey Juden“ beginnt mit einer bewussten Irritation: vom Band erklingt die sonore Stimme einer Märchenerzählerin, die vom verwunschenen „Garten der Diaspora“ am Jüdischen Museum in der Lindenstraße mitten in Berlin schwärmt. Dazu setzt sich Moran Sanderovich, eine in Berlin lebende israelische Performerin und bildende Künstlerin, langsam in Bewegung. Sie steckt in einem Ganzkörper-Kostüm, das man am ehesten als eine schräge Mischung aus Knusperhexe und schwer verwundeter Frontkämpferin mit Maschinengewehr beschreiben kann. Minutenlang stakst sie mit wilden Verrenkungen in einer Persiflage auf Kunstperformances über die Bühne, bis dem sichtlich erstaunten Publikum klar wird, worauf diese Aktion hinauslaufen soll.

Nun betritt nämlich Sesede Terziyan im Abendkleid die kleine Studiobühne: Stolz präsentiert sie eine Hirschtrophäe von ausgesuchter Hässlichkeit und bedankt sich in einer Parodie auf eine typische Preisträgerinnen-Rede bei den Sponsoren, bei der Jury und natürlich ihrer Mutter. Als dieser Gag schon um einige Minuten zu sehr in die Länge gezogen ist, schlägt der Text von Sivan Ben Yishai eine überraschende Volte: Die Performerin steigert sich plötzlich in die Schilderung einer Serie von kannibalistischen Lustmorden an ihren blonden, deutschen Bräutigamen hinein. Sesede Terziyan wirft sich mit vollem Karacho in die Rolle hinein, tigert durch die Reihen, fordert das Publikum heraus und landet schließlich beim eigentlichen Thema: den verkrampften deutsch-israelischen Beziehungen.

Polemisch macht sich die in Israel geborene und in Berlin lebende Autorin Ben Yishai über den Kulturbetrieb lustig, der sich so gerne in wohlfeilen Aktionen und dem guten Gefühl sonnt, auf der politisch richtigen Seite zu stehen. Die fiktive jüdische Vorzeigekünstlerin, die Terziyan spielt, wird zum Darling der Saison hochgejubelt und genießt die Momente des Ruhms. Wie verkrampft das ganze Arrangement ist, von dem alle Seiten profitieren, zeigt der Text mit bösen Seitenhieben auf die Militäreinsätze der rechts-nationalen israelischen Regierung Netanjahu in Gaza. Lustvoll bohrt Ben Yishai in der Wunde der Sprachlosigkeit der offiziellen deutschen Regierungspolitik zu diesem Thema. In einer weiteren ironischen Volte karikiert der Abend die sehr umstrittene Kunstaktion „Flüchtlinge fressen“ des Zentrums für politische Schönheit und den Medienrummel um die Tiger im Käfig auf dem Gorki-Vorplatz im Sommer 2016. Solche Insidergags haben „Die Juden-Monologe“ reihenweise zu bieten.

Sesede Terziyan ist in einer ihrer stärksten Rollen am Gorki zu erleben. Die erfahrene Autorin Sasha Marianna Salzmann hat den Text in ihrem Regie-Debüt gut eingerichtet. Sivan Ben Yishai beeindruckt mit ihrer sehr eigenen Mischung aus leisen, poetischen Passagen und Kraftmeierei. Wie schon in ihrem vorherigen Stück „Your very own double crisis club“, das bei den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters uraufgeführt wurde, erliegt sie aber der Gefahr, sich von ihrer Fabulierlust wegtragen zu lassen und den Text mit zu vielen Themen und Paukenschlägen zu überfrachten.

Nach einer kurzen Pause war Till Wonka mit der Uraufführung von Max Czolleks „Celan mit der Axt“ an der Reihe, die von Sapir Heller in Szene gesetzt wurde. Dieses Stück ist ein galliger Streifzug durch die komplizierten deutsch-jüdischen Beziehungen nach Auschwitz. Wonka versetzt sich in die Rolle des zitternden Paul Celan, der mit seiner „Todesfuge“ aus dem Pariser Exil zur Tagung der „Gruppe 47“ anreist und mit dieser sensiblen Klage über die Holocaust-Opfer gnadenlos durchfiel. Anschließend spricht er Passagen aus dem berühmten TV-Interview von Günter Gaus mit Hannah Arendt nach, das auf der Bühne leider genauso verqualmt ist wie die originale Studioaufnahme. Martin Walsers Paulskirchenrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, bei der er im Herbst 1998 über die „Moralkeule“ Auschwitz klagte und einen wochenlangen Feuilletonstreit mit Ignatz Bubis auslöste, lässt diese Inszenierung   in den Techno-Beats untergehen, die damals die Charts dominierten.

Besonders giftig werden die „Juden-Monologe“ in ihrer letzten Szene: dort schlüpft Wonka in die Rolle von Amichai Süß. Das war angeblich ein KZ-Häftling, der nach seiner Befreiung das Frankfurter Bahnhofsviertel aufkaufte und sich vom Opfer zum einflussreichen König der Rotlichtszene mauserte: eine Figur wie aus Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“. Wonka schiebt sich, während er uns dies auftischt, Goldplomben zwischen seine Zähne.

So endet dieser gallige Streifzug durch das verminte deutsch-jüdische Verhältnis.

Bild: Moran Sanderovich

 

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