Was Karin Beier, die Intendantin des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, daran interessierte, Shakespeares Tragikomödie „Der Kaufmann von Venedig“ auf die Bühne zu bringen, wurde an diesem Premierenabend nicht klar.
Die Figur des jüdischen Wucherers Shylock ist mit so vielen antisemitischen Klischees konnotiert, dass man sich schon sehr genau überlegen muss, wie man aus dem um 1600 entstandenen Drama einen zeitgemäßen Abend machen kann.
Beiers „Kaufmann von Venedig“ ist zu sehr auf Joachim Meyerhoff zugeschnitten. Er ist das Kraftzentrum des Abends, kann ihn aber ohne überzeugendes Regiekonzept auch nicht stemmen. Über weite Strecken des knapp dreistündigen Abends sitzt er teilnahmslos mit dem Rücken zum Publikum (in der Eröffnungsszene) oder hält sich qualmend im Hintergrund. In diesen Passagen zerfasert das Geschehen auf der Bühne. Die verschiedenen Handlungsstränge sind schon bei Shakespeare nur recht lose verbunden, hier laufen sie ins Leere: Auf der einen Seite das Drama um den Schuldschein des Antonio (Carlo Ljubek), der sich verpflichtet, dass ihm Shylock ein Pfund Fleisch aus dem Körper schneiden darf, falls er das Darlehen nicht zurückzahlen kann; auf der anderen Seite das Rätsel für die Heiratskandidaten der Portia (Angelika Richter), die aus drei Kästchen wählen müssen, was nur Antonios Freund Bassanio (Matti Krause) schafft.
So plätschert der Abend über weite Strecken dahin, bis Joachim Meyerhoff wieder eingreift. Wenn er zum berühmten Monolog „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“ ansetzt, wird es ganz still im Saal. Auch sein Deal, den er mit Antonio schließt, und die Gerichtsverhandlung, in der zwischen Shylock und Antonio geschlichtet werden muss, gehören zu den wenigen starken Szenen, in denen „Der Kaufmann von Venedig“ seine Betriebstemperatur erreicht.
Allerdings liegen gerade darin, dass der Abend so sehr auf den Stargast vom Burgtheater zugeschnitten ist, weitere Probleme: Auf dem schmalen Grat zum Overacting droht er kurz abzustürzen, als er sich allzu verzweifelt als Schmerzensmann krümmt. In einem längeren Solo bietet er einen Streifzug durch die Kunstgeschichte und berauscht sich an seinem Können. Dieser kleine Exkurs ist zwar unterhaltsam, kann aber die Schwächen des restlichen Abends nicht überdecken.
Ganz zum Schluss überrascht Karin Beier noch mit einer interessanten Setzung: Statt des Happy-Ends mit mehreren glücklichen Paaren lässt sie Gala Othero Winter, die sowohl den Dogen als auch Shylocks Tochter Jessica spielte, unter Zuckungen zusammenbrechen, bevor die Bühne im Schwarz versinkt. Dieses Finale wirkt aber mangels Herleitung wie ein weiterer Fremdkörper der Inszenierung.
Bilder: Matthias Horn