Das packende Zeitgeschichtsdrama „Das schweigende Klassenzimmer“ feierte seine Weltpremiere als Berlinale Special im Friedrichstadtpalast, könnte aber auch im offiziellen Wettbewerb um die Bären bestehen.
Regisseur Lars Kraume konzentrierte sich in seiner bisherigen Karriere auf TV-Formate und war vor mehr als zehn Jahren auch schon 2x im Panorama der Berlinale (2005 und 2007) zu Gast. Nach dem mit insgesamt 6 Lolas ausgezeichneten Polit-Thriller „Der Staat gegen Fritz Bauer“ widmet sich Kraume erneut einem spannenden Stoff aus der Nachkriegszeit, setzt aber diesmal in den Hauptrollen auf talentierten, noch recht unbekannten Nachwuchs.
„Das schweigende Klassenzimmer“ basiert auf den gleichnamigen Erinnerungen von Dietrich Garstka und erzählt von einer Abiturklasse in Storkow, die mit Schweigeminuten stillen Protest gegen die sowjetische Niederschlagung des Ungarn-Aufstands im Herbst 1956 einlegten. Kraume verlegte die Handlung nach Stalinstadt (das heutige Eisenhüttenstadt).
Der Film zeichnet sehr präzise nach, wie das totalitäre System die Daumenschrauben anlegt. Die Jugendlichen werden nach allen Regeln subversiver Verhörtechniken unter Druck gesetzt, die „Rädelsführer“ zu benennen. In einer starken Ensemble-Leistung gibt es keine Schwarz-Weiß-Abziehbilder, sondern klar konturierte Figuren, die mit ihren Dilemmata ringen und einen Ausweg suchen.
Überzeugend spielen Jonas Dassler, Tom Gramenz und Leonard Scheicher die wichtigsten Rollen in diesem kammerspielartigen Geschichts-Drama. Alle drei kommen von der renommierten HfS Ernst Busch. Dassler und Scheicher sind dem Berliner Theaterpublikum aus ihren Rollen in „Dantons Tod“ und „Alles Schwindel“ bzw. „Zwei Herren aus Verona“ und „Glasmenagerie“ bereits gut bekannt.
Dassler spielt Erik Babinski, den Sohn eines toten Rotfront-Kämpfers, der an den Sozialismus glaubt und von den zuständigen Ermittlern, der Schuldezernentin (Jördis Triebel) und dem Volksbildungsminister (Burghart Klaußner), als der Dominostein ausgemacht wird, der als erster kippen wird. Scheicher verkörpert das sympathische Schlitzohr Theo Lemke, der vorschlägt, sich mit einer Notlüge aus dem Räderwerk des SED-Staats herauszuwinden. Gramenz spielt Kurt Wächter, den Sohn eines örtlichen Parteikaders in der DDR-Vorzeige-Stadt, der dafür plädiert, den Widerstand bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Florian Lukas spielt den Schuldirektor Schwarz, der den Fall anfangs unter der Decke halten möchte und Mitgefühl mit seinen Schülern zeigt, aber von den Ereignissen und seinen Vorgesetzten an den Rand gedrängt wird.
Der Schlussteil dieser ZDF-Co-Produktion droht von melodramatischen Streicherklängen überlagert zu werden. Diese billigen Emotionalisierungsmittel hätte der Film aber gar nicht gebraucht, da der spannende Plot und die starken Darsteller für ein sehenswertes Kino-Erlebnis sorgen.
„Das schweigende Klassenzimmer“ startet gleich nach der Berlinale am 1. März 2018 deutschlandweit in den Kinos.
Bilder: © Studiocanal GmbH / Julia Terjung
K. Gille
Ich habe den Film auf Prime Video gesehen.
Und war zunächst skeptisch: deutsche Produktion, gesponsort u.a. vom ZDF. Das kann nur einer dieser langweiligen moralisierenden „Kunst“filme sein. Aber weit gefehlt. Der Film ist technisch perfekt und aufwändig produziert; so kommen z.B. die Straßenszenen aus den 50er Jahren authentisch rüber. Die Darsteller sind duchweg gut bis überragend. Und Jördis Triebel als aalglatte Repräsentantin des DDR-Staatsapparates ist geradezu furchteinflößend.
Die Geschichte um diese mutigen Abiturienten beruht auf wahren Begebenheiten und macht den Film daher um so packender. Durch die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung werden zum Schluß ganze Familien auseinandergerissen und zeigt eindringlich die Erbärmlichkeit eines diktatorischen Systems auf.
Absolut empfehlenswert und daher 5 von 5 Sternen von mir.