Achtung Berlin 2018

Für einen proppenvollen Saal im Eiszeit Kino sorgte die Tragikomödie „Reise nach Jerusalem“ von Lucia Chiarla. Im Programmheft zum „Achtung Berlin“-Festival wurde dieser sehenswerte Film mit der kreativen Wortschöpfung einer „Sozialdramödie“ etikettiert.

Alice, 39, Kreuzbergerin, macht irgendwas mit Medien, arbeitete als Texterin und Online-Redakteurin, ist gefangen zwischen Gelegenheitsjobs als Produkttesterin, nicht weniger sinnlosen Bewerbungstrainings, die ihr das Jobcenter mangels besserer Alternativen aufdrückt, und dem großen Traum von der nächsten Festanstellung. Jedes Gespräch mit ihren Eltern und mit ihren anstrengend-selbstbezogenen Ex-Kollegen aus der PR- und Werbebranche wird zum Spießrutenlaufen. Vage nuschelt sie über Kunden aus diversen Branchen und schwärmt von der Freiheit des Lebens als Freelancerin. Nichts scheut sie so sehr, als ihren beruflichen Misserfolg eingestehen zu müssen. Ihre Eltern und Bekannten möchte sie nicht anschnorren, stattdessen versucht sie verzweifelt, die Tankgutscheine, die sie als Aufwandsentschädigung für Produkttests bekam, zu Geld zu machen.

Die „Reise nach Jerusalem“ lebt von der starken Hauptdarstellerin Eva Löbau, die seit ihrem Durchbruch als Lehrerin in Maren Ades „Der Wald vor lauter Bäumen“ (2003) schon oft als junge Frau, die mit den Tücken des Großstadtlebens kämpft, glänzte. Die zweite Stärke des Films ist der schonungslose Blick auf die soziale Realität. Gerade in einem Bezirk, der so sehr im Umbruch ist wie Kreuzberg, erkannte das Festival-Publikum viel Vertrautes wieder.

„Reise nach Jerusalem“ lief im Januar bereits beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken und hätte nach der Berlin-Premiere im „Achtung Berlin“-Wettbewerb auch einen Kinostart verdient. Dieser Film war der große „Abräumer“ dieses Festivals: er gewann den Hauptpreis als Bester Film, Eva Löbau wurde als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet, „Reise nach Jerusalem“ erntete außerdem noch eine Lobende Erwähnung in der Kategorie Bestes Drehbuch.

Nicht so gelungen war das Pubertäts-Drama „Lomo – The Language of many others“ über den Abiturienten Karl. Jonas Dassler, der noch während des Studiums an der HfS Ernst Busch eine steile Karriere als „Danton“ im Studio der Schaubühne und Shooting-Star im Ensemble des Gorki Theaters hinlegte, mimt den Computer-Nerd, der sich an seiner Ex-Freundin rächt, überzeugend. Die Festival-Jury zeichnete ihn als Besten Hauptdarsteller aus.

Der Plot des Spielfilm-Debüts von Regisseurin Julia Langhof wirkt jedoch etwas zu konstruiert, Peter Jordan als Architekten-Vater von Karl und Julika Jenkins als karrieristische Mutter von Doro (Lucie Hollmann) müssen klischeehafte Figuren spielen. Der dramaturgische Kniff, dass Karl ständig vom Stimmengewirr seiner Follower begleitet wird, die jedes seiner Postings kommentieren, ist anfangs interessant, erschöpft sich aber im Lauf der 100 Minuten und läuft ins Leere.

„Lomo“ ist eine rbb/arte-Co-Produktion, lief bereits im Sommer 2017 beim Festival in München und soll im Juli 2018 in den deutschen Kinos starten.

Bild: ®Flare-Film-GmbH_Michal-Grabowski

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