Marvin

Schon nach der Theater-Premiere von „Im Herzen der Gewalt“ an der Schaubühne wurde in vielen Kritiken vor allem eins betont: Wie ähnlich der Schauspieler Laurenz Laufenberg dem ebenfalls blonden, schlaksigen, gewinnend lächelnden Autor der autobiographischen Roman-Vorlage, dem Franzosen Édouard Louis, sieht.

Noch frappierender ist die Ähnlichkeit zwischen Hauptdarsteller und Autor allerdings bei der Verfilmung des Roman-Debüts „Das Ende von Eddy“, die unter dem Titel „Marvin“ in die deutschen Kinos kommt. Der britisch-französische Schauspieler Finnegan Oldfield sieht dem Schriftsteller Édouard Louis noch ähnlicher als Laurenz Laufenberg. Er fiel im vergangenen Jahr schon im Thriller „Nocturama“ auf und trägt Anne Fontaines Verfilmung, die zwar grundlegende Motive aus dem autobiographischen Roman von Édouard Louis aufgreift, sich aber nur lose am Roman orientiert.

Die Filmfigur Marvin Bijoux leidet ebenso wie der reale Édouard unter Homophobie, Mobbing und Gewalt in der Arbeiterfamilie in einem Dorf in der französischen Provinz. In der Schule werden sie geschlagen, angepöbelt, ausgegrenzt. Zuhause gibt es erst recht keinen Schutzraum: der autoritäre Vater und der ältere Bruder lassen Marvin deutlich ihren Abscheu und ihre Ablehnung spüren.

Wie Édouard gelingt auch dem fiktiven Marvin die Emanzipation über die Welt der Kunst: die Leiterin der Theatergruppe an der Schule erkennt sein Talent, später fördert ihn der Schauspieler Abel als väterlicher Freund. Zum Durchbruch verhilft ihm schließlich die Schauspiel-Ikone Isabelle Huppert, die bereits mehrfach mit Fontaine zusammenarbeitete, und mit ihm einen autobiographischen Duo-Abend einstudiert, der auf den Pariser Bühnen ebenso einschlägt wie der Roman „Das Ende von Eddy“ auf dem Buchmarkt in Frankreich 2014 und in Deutschland 2015.

Stilistisch orientiert sich Fontaines Film mit häufigen Rückblenden und Zeitsprüngen an der Erzählweise der Romanvorlage von Édouard Louis, ist aber ansonsten erstaunlich konventionell erzählt. Bemerkenswert machen ihn vor allem die beiden herausragenden Hauptdarsteller (den älteren Marvin spielt Finnegan Oldfield, als Kind verkörpert ihn Jules Porier).

Einen wesentlichen Kritikpunkt an „Marvin“ brachte der „Hollywood Reporter“ nach der Aufführung beim Festival in Venedig 2017, wo er in der Reihe „Orrizonti“ lief und den „Queer Lion“, das Pendant zum Berlinale-„Teddy“ gewann: die einzelnen Szenen sind oft zu langatmig ausgepinselt, mit mehr Mut zur Reduktion hätte Fontaine ihren spannenden Stoff noch besser in den Griff bekommen.

Bilder: Edition Salzgeber

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