Phantom (Ein Spiel)

Die Tinte unter dem vorletzten GroKo-Koalitionsvertrag war gerade erst trocken und die meisten Deutschen genossen ihre Weihnachtsferien, als die CSU zum Jahreswechsel 2013/2014 einen populistischen Frontalangriff gegen die Armutsmigration vom Westbalkan starteten. „Wer betrügt, der fliegt“, dröhnte es aus Wildbad Kreuth gegen Bulgaren und Rumänen.

Einige Tage lang standen die „Rumänen von Wildbad Kreuth“, wie DIE ZEIT titelte, im Zentrum der Schlagzeilen, bevor sich die Medien wie üblich anderen Themen widmeten. Das Autoren-Duo Lutz Hübner/Sarah Nemitz, das für seine Gesellschaftskomödien aus der Realität deutscher Elternabende („Frau Müller muss weg“) und Flüchtlings-WG-Debatten („Willkommen“) bekannt ist, erhielt vom Nationaltheater Mannheim den Auftrag, ein Stück zum Thema zu schreiben. Wie es der Zufall wollte, wurde „Phantom (Ein Spiel)“ genau auf dem Höhepunkt der Willkommenskultur im September 2015 in Mannheim uraufgeführt, als die Flüchtlinge an den Bahnhöfen mit Teddybären begrüßt wurden, bevor die Stimmung merklich kippte.

Diesen Geist der Willkommenskultur atmet auch „Phantom (Ein Spiel)“. Nachtkritik schrieb nach der Mannheimer Uraufführung treffend: „Alles endet in einer Apotheose: Die Romni-Frau als Sankta Blanca, starke Ahnfrau eines starken Geschlechts, das in Deutschland mit Pioniergeist, Zielstrebigkeit und Arbeitswillen zu Ansehen und Wohlstand kommen kann. Es ist zu schön, um wahr zu sein. Aber träumen ist ja nicht verboten.“

Als in einer Burger-Filiale ein ausgesetztes Kind gefunden wird, sind sich die prekär Beschäftigten schnell einig: Das Baby kann nur die Romni abgestellt haben, die hier eben noch bettelnd herumschlich. In sozialrealistisch ausgepinselten Szenen versetzen sich die drei Spielerinnen (Lisa Klabunde, Amelie Köder, Luisa-Charlotte Schulz) und zwei Spieler (Christian Giese, Frederic Phung) in die üblichen Klischeevorstellungen hinein, wie es dazu gekommen sein muss. Sie malen sich aus, wie die junge Frau unter der Perspektivlosigkeit in ihrem Dorf auf dem Westbalkan litt, wie die Oma ihr Mut machte, mehr aus ihrem Leben zu machen als ihre Eltern, die nur eine rudimentäre Schulbildung haben. Wie ein Aufschneider und Sprücheklopfer sie nach Deutschland lockt. Wie sie von Schlepperbanden und Abzockern ausgenommen wird. Wie ihr die Zwangsprostitution droht.

So schenkelklopfend-heiter wie bei ihrem Publikumshit „Frau Müller muss weg“, der von Sönke Wortmann verfilmt wurde, geht es diesmal bei Hübner/Nemitz nicht zu. „Phantom (Ein Spiel)“ ist eine Sozial-Tragikomödie und vor allem politisch engagiertes Theater, wie wir es vom Grips-Theater gewohnt sind. Das Autoren-Duo zitiert im Programmheft ausführlich soziologische Studien wie „Arrival City“ von Doug Saunders und berichtet über ihre Recherchen in Mannheim und Neukölln. „Phantom (Ein Spiel)“ will Empathie für die Situation der Flüchtlinge und Armutsmigranten wecken und bedient sich sehr ausgiebig bei den bekannten Erzählmustern von Flucht-Biographien in Features und Sozialreportagen. Auf den letzten Metern wird die Argumentation durch eine Pointe gebrochen, die gar nicht mehr so überraschend kommt. Das verwahrloste Kind stammt nicht von der überforderten Romni-Frau Blanca, sondern von einer biodeutschen Hartz IV-Empfängerin, die von ihrem Marco sitzengelassen wurde und deshalb auf Blancas pragmatisch-zupackende Art angewiesen ist.

Petra Zieser, eines der bekannteren Gesichter der deutschen Film- und Fernsehbranche, erzählt die tragikomische Geschichte bei ihrer ersten Regie-Arbeit an ihrem Stammhaus mit leichter Hand. Bekannt wurde sie 1986 mit der mittlerweile legendären „Linie 1“, die immer noch das Aushängeschild des Grips-Theaters ist. Nach einigen Jahren am Thalia Theater wurde sie einem breiten Publikum vor allem mit den Filmen von Doris Dörrie, Hape Kerkeling und Gerhart Polt bekannt.

Ihr Ensemble, ein Mix aus erfahrenen Grips-Spielern wie Christian Giese, der zuletzt Jürgen Todenhöfer in „Inside IS“ verkörperte, und einigen Neuzugängen, wechselt munter die Rollen und erntete starken Premieren-Applaus. Besonders hervorzuheben sind die Video-Einspieler des Kreuzberger „Talking Animals“-Duos (Sounddesign von Michal Krajczok, Animationsfilme von Gregor Dashuber), die mit den Märchen-Motiven („Hänsel & Gretel“, „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, Heinrich Heines „Elementargeister“) aus dem Text von Hübner/Nemitz spielen und als rätselhafte Einspieler über dem Bühnengeschehen flackern.

Copyright des Promobilds: David Baltzer

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