Gutmenschen

Die Autorentheatertage des Deutschen Theaters Berlin bieten in diesem Jahr einen Crash-Kurs in österreichischer Politik- und Landeskunde. Zum Auftakt war die „Jedermann“-Überschreibung des Wiener Burgtheaters zu erleben, bei der Ferdinand Schmalz das nationale Kulturgut und Aushängeschild der Salzburger Festspiele entstaubte. Das Schauspielhaus Wien zog mit einem Chor wütender Teenager nach, die mit Trump, der Elterngeneration und ihrem Sonnyboy-Kanzler Sebastian Kurz abrechneten. Zum Abschluss des Gastspiel-Programms taucht das Volkstheater Wien am tiefsten in die Innenpolitik Österreichs ein.

Yael Ronen und ihr Ensemble nehmen sich die restriktive Asyl-Politik der schwarz-blauen Regierung und das ähnlich undurchdringliche Wirtschafts-Imperium des „Servus-TV“- und „Red Bull“-Magnaten Dietrich Mateschitz vor. Das Programmheft ist mit Mateschitz-Sprüchen gespickt, der über die „Scheinheiligkeiten“ der „Willkommenskultur“ schimpft und gegen ein angebliches „Meinungsdiktat“ wettert.

Ausgangspunkt der Stückentwicklung „Gutmenschen“ ist wie schon beim Vorgänger-Projekt „Lost and Found“ von 2015 das Schicksal von Yousif Ahmad, der in Wien Asyl beantragte und bei seiner Cousine Seyneb Saleh, einer Schauspielerin am Volkstheater, unterkam. Drei Jahre später mahlen die Mühlen der Bürokratie immer noch langsam, aber unerbittlich, der Status des Asylbewerbers ist prekär, ihm droht die Abschiebung. Am Küchentisch von Maryam (Birgit Stöger) hat sich ein buntes, linkes, queeres Häuflein versammelt, die voller Empörung überlegen, wie sie Yousif helfen können. Hier kommt der zweite Handlungsstrang ins Spiel: Maryam hat einen Vertrag für die fiktive, aber von der Wirklichkeit gar nicht so weit entfernte TV-Soap „Gutmenschen“ unterschrieben, bei der dem geneigten, rechtswählenden Publikum im Big Brother-Stil die Marotten der linksalternativen Großstadt-Blase vorgeführt werden sollen. Naiv träumt die Clique davon, das Format für ihre Zwecke zu kapern und als Plattform zu nutzen, um Widerstand gegen die Asylpolitik und die drohende Abschiebung von Yousif zu organisieren.

Die Küchendialoge zwischen den satirisch-überzeichneten Figuren plätschern recht matt dahin und erreichen nicht das bissige Niveau, das wir von Yael Ronen als Gorki-Hausautorin gewohnt sind. Die Figuren sind neben der Debatte, ob der aasige Anwalt (Julius Feldmeier per Videoschalte aus der Zahnarztpraxis), der Chef von Moritz (Paul Spittler), der wiederum der Partner von Schnute (Knut Berger), Waldkindergärtner und Samenspender für Maryams Kind ist, vor allem mit ihren privaten Verwicklungen, Hochzeitsvorbereitungen und Beziehungsproblemen beschäftigt. Die politische Boulevardkomödie hat nur wenige bemerkenswerte Momente. Die schrägen Bühnenflächen, die Wolfgang Menardi ähnlich wie bei „Point of no return“ für Yael Ronen gebaut hat, bleiben ungenutztes Potenzial.

In Erinnerung bleiben vor allem der mit Szenenapplaus bedachte Song „Weit, weit rechts“ von Katharina Klar, die Hubert von Goiserns Hit „Weit, weit weg“ (1994) parodiert, und die Pointe, auf die der Abend zusteuert. Schon im Original wirkt diese Szene ziemlich absurd: Nach längeren Verhandlungen mit einem Beamten (Niels Bormann, der auch als Co-Dramaturg beteiligt ist) darf der irakische Flüchtling nur 30 Sekunden stumm über die Bühne gehen. Ein längerer Auftritt im Stück, das um sein Schicksal kreist, wurde nicht gestattet: dann wäre er Schauspieler und bräuchte eine Arbeitserlaubnis, die ihm bisher verweigert wird. Beim Berliner Gastspiel wird die Absurdität noch auf die Spitze getrieben: die Uhr zählt den 30 Sekunden-Countdown penibel mit, aber das Ensemble starrt ins Leere: Yousef Ahmad darf in Berlin nicht mal stumm über die Bühne gehen, sondern gar nicht erst einreisen.

Bilder: © www.lupispuma.com / Volkstheater

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