Die Besucher, die sich an dem heißen Sommerabend vor dem Deutschen Theater Göttingen versammelt haben, werden an der repräsentativen Fassade vorbei zur Tiefgarage gelotst. Vor dem Eingang wimmelt es von jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die in weiße Kaninchen-Kostüme gesteckt werden.
Sobald das Ticket abgerissen ist, wird jede Zuschauerin/jeder Zuschauer von einem Kaninchen in Empfang genommen: Mit einem Kopfhörer und angehefteten „Ich bin Alice“-Sticker ausgestattet, führen die Kaninchen ihre Besucher in einen Raum des Tiefgaragen-Labyrinths. Dort treffen wir auf markante Motive aus den beiden „Alice“-Klassikern, die der Oxforder Mathematiker Ende des 19. Jahrhunderts verfasst hat: Teegesellschaften, Kartenspiele, Hutmacher, kleine Türen, die man nur gebückt passieren kann.
Bis zu zehn Minuten sitzen wir in kleinen Gruppen in den engen Zimmern auf Betten, umgedrehten Bierkisten oder kleinen Hockern und werden von den kryptischen Sätzen aus dem Kopfhörer beschallt. Am Tisch ist einer der vielen Schauspieler platziert, die sich die Hutmacher-Rolle teilen, und meist murmelnd in scheinbar sinnfreie Tätigkeiten versunken. Es dauert oft eine gefühlte Ewigkeit, bis das nächste Kaninchen kommt und uns in einen weiteren Raum begleitet.
Durch diese langen Phasen des Wartens stellt sich der erhoffte immersive Sog bei „In Alice Welt“ nicht ein. Der Abend bleibt höflich auf Distanz. Nur selten werden die Zuschauer direkt angesprochen oder angespielt. Im Vergleich zu den oft sehr übergriffigen Signa-Arbeiten ist dies sehr wohltuend. „In Alice Welt“ droht aber ins andere Extrem zu verfallen: zu viel Leerlauf, erst in den letzten Minuten, bevor sich alle auf Feldbetten versammeln, lernt man im Schnelldurchgang alle Winkel und Kämmerchen des Labyrinths kennen, dessen Potenzial diese Arbeit noch stärker hätte nutzen können. Dann wäre aus einem vielversprechenden Experiment nicht nur ein ungewöhnlicher, sondern auch ein eindrucksvoller Theaterabend geworden.
Bilder: Thomas M. Jauk