Mit einer recht alltäglichen Situation beginnt Xavier Legrand sein Regie-Debüt „Nach dem Urteil (Jusqu’à la garde)“: ein Paar hat sich auseinander gelebt. Mit ihren Anwältinnen treffen sich Antoine (Denis Menochet) und Miriam (Lea Drucker) vor Gericht und streiten mit allen Bandagen um das Sorgerecht für die Kinder und Regeln für den Umgang.
Prekär wird die Situation, da der bullige Antoine ein Musterbeispiel für das ist, was modisch als „toxische Männlichkeit“ bezeichnet wird: in seiner Akte sind bereits einige Übergriffe verzeichnet, die Ex-Frau möchte ihre neue Adresse geheim halten, da sie neue Gewaltausbrüche fürchtet.
Im Mittelpunkt der Scheidungs-Schlammschlacht steht Julien (Thomas Gioira), der mit Notlügen zwischen den Fronten laviert, von der bloßen Präsenz seines Vaters neben ihm auf dem Fahrersitz sichtlich eingeschüchert und mehr als einmal in Tränen aufgelöst ist. Das laute Hupen des Vaters, wenn er vor dem Haus der Ex-Frau vorfährt, um seinen Sohn – wie vor Gericht durchgesetzt – alle zwei Wochen zu sehen, geht dem Kinopublikum durch Mark und Bein.
Xavier Legrand erzählt das Familiendrama aus der Ehehölle ansonsten mit nüchterner Präzision, sehr ruhig und überraschend konventionell ohne besondere dramaturgische Effekte. Die Sozialstudie explodiert erst am Ende mit einem blutigen Finale. Der Jury des Festivals in Venedig 2017 war dieser Überraschungshit zwei Preise wert: den Silbernen Löwen für die Beste Regie und den Preis für das beste Debüt. Knapp ein Jahr später startete der Film am 23. August 2018 in den deutschen Kinos.
Bilder: ©KG_Productions