The Factory

Zurück ins Jahr 2008 gehen Autor Mohammad Al Attar und Regisseur Omar Abusaada in ihrem Dokumentar-Theater-Abend „The Factory“, einem Auftragswerk für Ruhrtriennale und Volksbühne: Nicolas Sarkozy hofierte den syrischen Diktator Baschir Assad und fädelte bei einem Staatsbesuch einige Deals für die Wirtschaft ein. Was noch keiner ahnen konnte, als die Berlin-Premiere des Stücks terminiert wurde: das Regierungsviertel wird für den Staatsbesuch des ebenfalls höchst umstrittenen türkischen Autokraten Recep Erdogan abgeriegelt, Hubschrauber kreisen schon am Premieren-Abend über der Stadt.

Eines der Ergebnisse dieses Syrien-Deals war, dass die Lafarge-Gruppe, einer der Big Player im Zement- und Beton-Markt mit Sitz in Paris und zweistelligem Milliarden-Umsatz, eine Fabrik in Manbidsch im Nordosten Syriens betreiben konnte. „The Factory“ geriet schnell zwischen die Fronten. Aus dem Aufstand gegen Assad, einem kleinen Dominostein der „Arabellion“, die 2011/12 eine ganze Weltregion erfasste, wurde ein blutiger Krieg. Syrien wurde zum Schlachtfeld, auf dem Warlords, Fundamentalisten, die Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien, Türkei und Russland sowie die USA mit wechselnden, meist sehr undurchsichtigen Bündnissen ihre Interessen durchsetzen wollten.

Historische Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht, Weltkulturerbe in Schutt und Asche gelegt, Millionen waren und sind innerhalb des Landes auf der Flucht, campieren in den Nachbarländern oder versuchten, über Mittelmeer und Balkan-Route nach Europa in Sicherheit zu kommen. Wieso konnte Lafarge dennoch weiter produzieren? Dieser Frage widmet sich das syrische Theater-Duo, ein seit Jahren eingespieltes Team, das vor einem Jahr bereits mit der Dokumentartheater-Performance „Aleppo. A Portrait of Absence“ im Haus der Kulturen der Welt und einer „Iphigenie“-Bearbeitung im Tempelhofer Hangar in Berlin gastierte.

Der Theaterabend zeichnet die Recherchen der TV-Journalistin Maryam (Lina Murad) nach, die in einer E-Mail auf den Fall Lafarge aufmerksam gemacht wurde. Wer verstrickte sich auf welche Art in den Bürgerkrieg? Wer machte sich die Hände schmutzig? Wan musste Lösegeld gezahlt werden? Wie war es möglich, dass die Produktion bis 2014 weiterlaufen konnte, auch nachdem die islamistische Terrororganisation Daesh, die in Deutschland besser unter dem Namen IS bekannt ist, die Region vorübergehend eingenommen hatte?

Aus vier Perspektiven und mit Vor- und Rückblenden beleuchten die Spieler*innen den Fall Lafarge. Sie lassen außer der Journalistin Maryam noch Firas, einen Tycoon und Sohn eines Generals, Amre, einen syrisch-kanadischen Geschäftsmann, und den Arbeiter Ahmad zu Wort kommen. Der 1 h 45 Minuten kurze Abend bietet eine Fülle von Infos. Das Wort dominiert, bis auf die Videowand von Bissane Al Charif und die Live-Musik von Saleh Katbeh lenkt nichts von den Monologen ab. Zu den wenigen wirklich eindringlichen Szenen zählt der Schluss-Monolog von Ahmad, der zwischen einem Minenfeld aus Bauhelmen von seiner Flucht aus Syrien erzählt.

Im „Talking Heads“-Stil referieren die Spieler*innen die Standpunkte und Erinnerungen der realen Personen, die sie verkörpern. Informativ, aber trocken wie Schwarzbrot wird Statement an Statement gereiht. Ein Kontrast zum furiosen Spielzeit-Auftakt mit Anne Teresa de Keersmaekers „Brandenburgischen Konzerten“ aus der Delikatessen-Abteilung.

Bilder: David Baltzer

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