Nach dem spielerischen Intro mit Comic-Zeichnungen von Christine Ruynat zu locker-leichter Klavier-Begleitung von Daniel Regenberg macht es am Gorki Theater erst mal einen ordentlichen Wumms: ein Video von Hannah Dörr zeigt eine Straße, auf der sich Trucks voranquälen. Wie wir es aus den Nachrichtenbildern aus dem Irak oder Afghanistan kennen, explodiert plötzlich eine Bombe, der LKW steht in Flammen. Die Schallwellen der Explosion ziehen durch den gesamten Theatersaal.
Der Anschlag auf den russischen Großfürsten, den ein bolschewistisches Terrorkommando 1905 ausführte, ereignet sich im Drama von Albert Camus aus dem Jahr 1949 erst im 3. Akt nach langen Diskussionen über Politik, Moral und Liebe. In Sebastian Baumgartens Inszenierung, die an diesem Wochenende am Gorki Theater Premiere hatte, steht die Tat gleich am Beginn des Abends.
In Pelzmänteln aus dem Handbuch für besonders klischeehafte Russland-Darstellungen treten die fünf Spieler*innen (Mazen Aljubbeh, Jonas Dassler, Lea Draeger, Aram Tafreshian und Till Wonka) nun an die Rampe und bieten eine Parodie des Stücks. Was bei Camus noch als sehr ernsthafter Diskussionsbeitrag für den Salon-Disput linker Pariser Intellektueller gedacht war, ob revolutionärer Terror ein legitimes oder gar notwendiges Mittel auf dem Weg zu einer gerechteren, sozialistischen Gesellschaft ist, wird bei Baumgarten zu einem mäßig unterhaltsamen Typen-Kabarett linkischer, stotternder, vor sich hinwurstelnder Figuren, denen man nie und nimmer die Tatkraft für einen Terrorakt zutraut und erst recht nicht den geistigen Hintergrund, um die rechts- und politiktheoretischen Diskurse zu führen, die Camus ihnen in den Mund legte.
Aus dem Lese- und Ideendrama des französischen Existentialisten wird ein ebenso zielloser wie verqualmter, mit zwei Stunden angesichts der konzeptionellen Lücken der Regie deutlich zu langer Abend, der immerhin manche Stellen zum Schmunzeln hat, z.B. einen Auftritt von Jonas Dassler als Geheimpolizist Skuratow im vierten Akt.
Zwischen den Akten, die in Stummfilm-Manier jeweils durch große Schrifttafeln zu Klavierbegleitung angekündigt werden, treten die Spieler*innen kurz aus ihren Rollen und frontal an die Rampe, schlüpfen in blau-weiß-gemusterte Overalls und beballern das Publikum mit einem Schnipsel-Gewitter aus Fremdtexten von Walter Benjamin über Jaques Lacan bis Slavoj Zizek. Der Abend hätte tatsächlich noch zu großer Form auflaufen können, wenn er all die Spuren, die er wie Konfetti ausstreute, ernsthaft verfolgt hätte. Stattdessen fielen „Die Gerechten“ nach dem philosophisch-soziologischen Intermezzo nur wieder in die nächste Runde der Camus-Parodie zurück. Die Spieler*innen mussten sich und uns mit angestrengter ironischer Distanz durch den nächsten Akt eines Textes quälen, der in den vergangenen Jahrzehnten reichlich Staub angesetzt hat und mit dem Regisseur Sebastian Baumgarten bis auf Veralberung sichtlich wenig anfangen konnte.
Bild: Esra Rotthoff