Mit einem Irritationsmoment beginnt die Lecture Performance „Kultur verteidigen“ im Lichtsaal, der kleinsten Spielstätte des Gorki Theaters. Tahera Hashemi, Oscar Olivo, Ruth Reinecke und Mehmet Yilmaz lesen schwärmerische Hymnen auf den Führer Adolf Hitler und die Nazi-Ideologie. Die Texte klingen oft ungelenk und sehr laienhaft. War hier nicht ein Reenactment des „Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur“ im Jahr 1935 angekündigt, zu dem sich antifaschistische Intellektuelle und Exilant*innen wie André Gide, Bertolt Brecht oder Anna Seghers in Paris versammelt haben?
Oscar Olivo, regelmäßiger Gast am Gorki Theater vor allem in den Arbeiten von Christian Weise, löst nach einigen Minuten auf: Wir hörten Original-Dokumente aus einem Preisausschreiben unter dem Titel „Wie ich Nazi wurde?“. Menschen, die bereits vor 1933 in die Partei eingetreten sind, waren aufgerufen, über ihre Motivation zu schreiben. Der ausgelobte Preis für den Gewinner-Text wurde allerdings nie vergeben, wie Olivo beiläufig anmerkt.
Nach der von Mehmet Yilmaz verlesenen Reichtagsbrandverordnung, mit der Nazis die Grundrechte aushebelten und ihre Gewaltherrschaft etablierten, kommt die etwas mehr als einstündige Lecture Performance bei ihrem eigentlichen Thema an. Die vier Spieler*innen sitzen vor Mikros und Papierstapeln an einem Konferenztisch, der fast den gesamten Raum einnimmt. Abwechselnd tragen die sie die Redebeiträge der prominenten Autor*innen vor, die namentlich aufgerufen werden: von Heinrich Mann bis Ernst Toller.
Die Textauswahl der bekannten Dokumentartheater-Macher*innen Hans-Werner Kroesinger und Regina Dura demonstriert vor allem die Hilf- und Ratlosigkeit der Intellektuellen in dieser angespannten Zeit: zwei Jahre nach dem Beginn der Nazi-Herrschaft und vier Jahre vor dem Überfall auf Polen.
Dass Kroesinger/Dura das Wort und ihre Recherche-Ergebnisse in den Mittelpunkt stellen, ist Kern ihres Konzepts. Aber selbst für Kroesinger/Dura-Verhältnisse ist dieser Abend ungewöhnlich spröde. Dies liegt auch daran, dass nur wenige der historischen Texte die Intensität des flammenden Appells von Ernst Toller erreichen, den Rashidah Aljounied vorträgt. Sie ist die zweite Gast-Schauspielerin des Abends und aus dem Bataclan-Doku-Theater-Stück „Der Anschlag“ im Heimathafen Neukölln bekannt. Bertolt Brechts Redebeitrag blieb wesentlich blasser und erschöpfte sich in seiner bekannten Forderung, die Klassenverhältnisse in Frage zu stellen.
„Kultur verteidigen“ ist Teil des „War or Peace – Crossroads of History“-Festivals am Gorki Theater.
Bild: Maxim Gorki Theater