„Nehmen Sie unseren Rat an und verbrennen Sie es“, sollen die Direktoren des Théâtre du Palais-Royal gesagt haben, als ihnen Georges Feydeau 1892 seine Farce „Champignol wider Willen“ angeboten hat.
Für dieses harsche Urteil sprechen einige gute Gründe: Verwechslungskomödien um betrogene Ehemänner sind fast so zahlreich wie der Sand am Meer. „Champignol wider Willen“ bedient die üblichen Muster des Boulevardtheaters, die Akteure stolpern von einem Fettnäpfchen ins nächste. Saint-Florimond sitzt in der Patsche, weil er Angèle, die Frau des Malers Champignol, angebaggert hat. Sie hat kein ernsthaftes Interesse an ihm, lässt sich aber aus Langeweile auf ihn ein. Als sie ihm den Laufpass gibt, ringt er ihr einen Abschiedskuss ab, bei dem sie vom neuen Dienstmädchen erwischt werden. Um einen Skandal zu vermeiden, tun Angèle und Saint-Florimond so, als ob es sich um Champignol handelt. Ständig klappern die Türen, ständig kommt neues Komödien-Personal herein, was die Angelegenheit ziemlich unübersichtlich macht, aber den eindeutigen Effekt hat, dass sich Saint-Florimond immer tiefer im Netz seiner falschen Identität verstrickt und alle um ihn herum überzeugt sind, es mit dem talentierten Maler zu tun zu haben.
Richtig absurd wird es, als der echte und der falsche Champignol beide zum Reservisten-Dienst eingezogen werden und sich beim nächtlichen Wachdienst plötzlich gegenüberstehen. Noch eine Schraube weiter dreht Feydeau seine Farce, als er den echten und den falschen Champignol bei einer Party im Haus des Kommandanten, der beide zu mehrtägigem Arrest verdonnert hat, erneut aufeinandertreffen lässt. Anlass ist die arrangierte Ehe seiner Schwester mit Saint-Florimond. Weitere Identitäts-Verwicklungen sind garantiert, die hysterische Ehefrau flüchtet sich in Ohnmachtsanfälle. So weit, so albern und belanglos.
Es hat also gute Gründe, warum das Stück „Champignol wider Willen“ heute weitgehend vergessen ist und warum der Vaudeville-Autor Georges Feydeau, ein Star im Paris der vorigen Jahrhundertwende, heute nur noch selten auf unseren Spielplänen zu finden ist. Den „Champignol wider Willen“ kann man einfach nicht ernst nehmen.
Was man allerdings damit machen kann: Herbert Fritsch, den Zeremonienmeister des Slapsticks, höheren Blödsinns und Springteufel-Körper-Theaters auf den Stoff loslassen. Fritsch macht aus der angestaubten, mehr als ein Jahrhundert alten Boulevard-Komödie einen herrlich abgedrehten Abend mit einem Ensemble in Hochform.
Ursina Lardi, eine der Großschauspielerinnen im mit Stars gespickten Schaubühnen-Team, vermutet man eher im seriösen und tragischen Fach. Diesmal gibt sie die Ehefrau im Negligee und mit Turmfrisur. Zwangsläufig steht sie in „Champignol wider Willen“ nicht so im Rampenlicht wie üblich und lässt anderen den Raum, zu glänzen. Hier sind vor allem drei Fritsch-Stammspieler aus seiner engsten Theaterfamilie zu nennen: Carol Schuler als wunderbar naives Dienstmädchen Charlotte und vertrottelter, von den höheren Rängen herumgeschubster Caporal Grasbon; Florian Anderer als der echte Champignol, ein verträumter, eingebildeter Maler, der eine kitschige, verkehrt herumaufgehängte Nachahmung der „Venus“ von Boticelli verbrochen hat und in der Welt des Militärs unter die Räder kommt; schließlich Bastian Reiber als falscher Champignol, der im letzten Akt wie unter Stromstößen zusammenzuckt, wann immer der Name „Champignol“ fällt, weil er sich ausweglos in der selbstgestellten Falle verheddert hat.
Das Schöne an diesem Abend ist, wie tänzerisch das Ensemble agiert. Die Choreographie geht diesmal deutlich über den von Fritsch gewohnten und deshalb schon langsam schal gewordenen Körper-Slapstick hinaus, parodiert in einem Ohrwurm des musikalischen Trios (Ingo Günther, Taiko Saito, Fabrizio Tentoni) das Marschieren und Exerzieren in der Kaserne, in die es den echten und falschen Champignol verschlägt, und spielt geschickt mit Tempiwechsel. Erstaunlich ist, wie gut sich der Nachwuchs der UdK-Studierenden, die in den Nebenrollen der Soldaten mitmarschieren, den Fritsch-Stil angeeignet hat. Es ist eine Freude, den Spieler*innen dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig von einer Ecke in die nächste jagen, die Mechanismen des Boulevard-Theaters persiflieren und die Befehlsketten im Militär parodistisch unmöglich machen.
Ein kleiner Makel des unterhaltsamen Abends ist, dass ihm die Pause nach den zwei Stunden nicht gut tut. Bis dahin schnurren die gut getimeten Pointen ab. Danach fährt der Abend erst langsam wieder mit einem Vibraphon-Solo von Taiko Saito hoch und mündet erst nach fast drei Stunden in ein letztes Verwechslungs-Finale. Herbert Fritsch erklärte in einem Interview mit „Pearson´s Preview“, das auf der Schaubühnen-Seite nachzulesen ist, dass das Stück so dicht geschrieben sei, dass Kürzen kaum möglich und nicht sinnvoll sei. Das sehe ich anders: Hätte man die eine oder andere Caprice gekappt und den Abend auf eine übliche Fritsch-Länge von zwei Stunden gekürzt, wäre der Spaß größer gewesen.
Nach den fast drei Stunden ernteten Fritsch, der durch die Luke im Bühnenboden auftauchte, die während des Stücks zig-mal von ungebetenen Gästen benutzt wurde, und sein Team beim Applaus-Ritual langanhaltenden Beifall und ein anerkennendes „Perfekt gemacht“ von Premierenbesuchern nach Fritschs bisher bester Arbeit an seinem neuen Berliner Stammhaus, der Schaubühne am Lehniner Platz.
Bilder: Thomas Aurin