Drei Gesichter

Es ist ein Rätsel, wie Jafar Panahi, einer der bekanntesten iranischen Filmemacher, es trotz Berufsverbot geschafft hat, nun bereits den vierten Spielfilm seit seiner Verurteilung im Jahr 2010 fertigzustellen und zu einem der großen internationalen Festivals zu schmuggeln. Wie der Berlinale-Gewinner „Taxi Teheran“ (Goldener Bär 2015) spielt auch sein neuer Film „Drei Gesichter“ über weite Strecken in einem Auto. Dies ist aber sein erster unter dem Bann entstandener Film, den er auch teilweise unter freiem Himmel drehen konnte. Das war nur möglich, weil er tief in die Provinz auswich: Schauplatz des skurrilen Roadmovies ist eine Gebirgsregion im Nordwesten Irans, von dort stammen Panahis Eltern und Großeltern.

Mit einem verwackelten Handy-Video beginnt der Film: eine verzweifelte Filmstudentin wendet sich mit einem Hilferuf an den Film- und Serienstar Behnaz Jafari. Wir Kinozuschauer*innen erkennen auch nicht mehr als Jafari und Panahi, die gerade in Teheran an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Anscheinend ist das Mädchen in einer Höhle irgendwo in den Bergen, die letzten Einstellungen ihrer Handy-Botschaft zeigen ein Seil, mit dem sie sich das Leben nehmen will. Sie fleht die prominente Schauspielerin an, dass sie ihr helfen möge und ihre konservative Familie, vor allem ihren Vater und ihren Bruder, überzeugen solle, dass sie ihren Traum doch noch verwirklichen darf, ebenfalls Schauspielerin zu werden. Der Fall ist fiktiv, aber laut Presseheft von Instagram-Messages und Zeitungsberichten über ähnliche Ereignisse im Iran inspiriert.

Der Plot des Films lässt sich recht schnell zusammenfassen: Jafari und Panahi, die sich im Film selbst spielen, machen sich auf den Weg in die Berge. Ein sehr ungleiches Duo: Sie ist der kapriziöse Star, wo auch immer sie hinkommt, sofort von Autogrammjäger*innen umlagert. Mit den türkischsprachigen Bergdorf-Bewohnern kann sich die elegante Hauptstädterin nur schwer verständigen, sie ist darauf angewiesen, dass ihr ortskundiger Begleiter Panahi ihr dolmetscht. Sie steigert sich aber aus Sorge um das Mädchen immer tiefer in die Suche hinein, die in einem emotionalen Wutausbruch gipfelt, als sie Marziyeh Rezaei endlich findet. Auch Rezaei tritt im Film mit ihrem echten Namen auf, wurde von Panahi auf der Straße angesprochen und ohne Film-Erfahrung für das Projekt verpflichtet.

Er ist dagegen der nüchterne Beobachter, häufig grummelnd und müde, der die Welt der Dorfbewohner mit liebevoll-ironischem Blick betrachtet. Die Suche nach dem Mädchen darf hin und wieder in den Hintergrund treten, wenn Panahi und wir über die Hup-Codes aufgeklärt werden, mit denen sich Autofahrer auf den kurvigen, nur einspurig befahrenen Bergpisten darüber verständigen, ob der Weg frei ist und wer Vorfahrt hat. Ein weiteres Detail, das Panahi sehr ausschmückt, ist der archaische Glaube an die mythische Kraft der abgeschnittenen, vergrabenen Vorhaut-Reste. Mit hochgezogenen Augenbrauen und mildem Lächeln lässt sich Jafari von einem alten Mann darüber aufklären, warum es für ihn so wichtig ist, wo die Vorhäute seiner Söhne verbuddelt werden. Das Patriarchat wird hier ebenso ironisiert wie in einer späteren Szene, bei der Zuchtbullen die Straße blockieren und der Besitzer ihre heilsbringende Potenz bei Wehwehchen aller Art wortreich ausmalt.

Für westliche Augen nur mit dem nötigen Hintergrundwissen richtig einzuordnen, für Iraner aber ein elektrisierendes Signal: Jafar Panahi führt mit der Schauspielerin und Dichterin Sharzad eine weitere reale, in ihrer Heimat prominente Person in die Handlung ein. Laut Presseheft war sie ein Star des persischen Mainstream-Kinos vor der islamischen Revolution und hat bis heute Berufsverbot. Sie spielt eine Mentorin des jungen Mädchens. Im Film wird oft über sie gesprochen, sie ist aber nur kurz zu hören und nur schemenhaft von hinten zu sehen. Ein Statement gegen Repression und Zensur setzt Panahi auch mit einem Filmplakat, auf dem Behrouz Vossoughi, ein weiterer bei den Mullahs verfemter Kino-Star aus der Schah-Zeit, abgebildet ist.

In seiner pittoresken, recht schrulligen Art ist „Drei Gesichter“ nicht Panahis stärkster Film. Die Jury in Cannes verlieh ihm dennoch beim Festival im Mai 2018 – gemeinsam mit Alice Rohrwachers „Glücklich wie Lazzaro – den Preis für das Beste Drehbuch aus, was sicher auch als Rückenwind und Anerkennerung für seinen hartnäckigen Widerstand gegen das iranische Regime zu interpretieren ist.

Vor dem Weihnachts-Kinostart am 26. Dezember 2018 wird „Drei Gesichter“ (im Original: „Se rokh“) Ende November eine Station der cineastischen Weltreise „Around the World in 14 films“ in der Berliner Kulturbrauerei sein.

Bilder: ©Jafar Panahi Film Production

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