Der Affront

Vor dem libanesischen Bürgerkrieg floh Ziad Doueiri in den 1980er Jahren nach Kalifornien und sammelte nach dem Studium als Kamera-Assistent bei den Quentin Tarantino-Hits „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“, „From Dusk Till Dawn“ und „Jackie Brown“ seine ersten Erfahrungen im Filmgeschäft.

Mittlerweile lebt er in Paris und führt selbst Regie, allerdings mit ganz anderer Handschrift als sein früherer Mentor. Thematisch kehrt er seit seinem ersten Film „West-Beirut“ (1999) immer wieder zu den Wunden zurück, die der Krieg im Libanon zwischen 1975 und 1990 geschlagen hat. Auch in „Der Affront/L´Insulte“ dreht sich alles um die unverarbeiteten Traumata jener Jahrzehnte.

In den ersten Minuten des Films ist davon noch wenig zu spüren. Der Streit zweier sturköpfiger, in ihrer Ehre verletzter Männer, die sich aus nichtigem Anlass unflätige Beschimpfungen an den Kopf werfen, könnte auch auf eine Boulevardkomödie hinführen. Yasser, palästinensischer Vorarbeiter einer Baufirma in Beirut, bekommt eine unfreiwillige Dusche aus dem Abflussrohr, das völlig unsachgemäß und gegen jede Vorschrift am Balkon des Automechanikers Toni angebracht ist. Als Yasser das Rohr kurzerhand repariert, zertrümmert es Toni (gespielt vom Comedian Adel Karam) mit einem Wutanfall. Ein Wort gibt das andere.

Yassers Chef versucht zu vermitteln und drängt die beiden Streithähne zur Versöhnung. Gerade als er mit Yasser an Tonis Werkstatt ankommt, dröhnt dort die Propagandarede eines libanesischen Nationalisten, deren strammer Parteigänger Toni ist, aus dem Fernseher. Die palästinensischen Flüchtlinge seien ein großes Unglück für das Land, verkündet der Volkstribun. Der libanesische Christ Toni nickt zustimmend, der palästinensische Flüchtling Yasser gerät wieder außer sich und ist nicht mehr zur Versöhnung bereit. Als Toni ihn verhöhnt, dass Ariel Scharon am besten alle Palästinenser umgebracht hätte, platzt Yasser endgültig der Kragen und er schlägt seinen Kontrahenten zu Boden. Diese Beschimpfung spielt auf die Rolle des umstrittenen israelischen Generals und späteren Premiers Scharon bei den Massakern der mit Israel verbündeten christlichen Falange-Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila an, die auch einen Untersuchungsausschuss der israelischen Knesset beschäftigten und ihn 1983 zum Rücktritt als Verteidigungsminister zwangen.

Das banale Scharmützel zweier gekränkter Männer erhält endgültig eine politische Dimension, als Toni Yasser vor Gericht zerrt und in erster Instanz verliert. Nun mischen sich Bauunternehmer, Abgeordnete und Anwält*innen ein. Wie sich im Prozess herausstellt, liefern sich Vater und Tochter einen Stellvertreter-Krieg als Rechtsbeistände der beiden Streithähne. Vor Gericht wird es schnell schmutzig und grundsätzlich. Auf dem Rücken der beiden Männer werden alte Rechnungen aus dem Bürgerkrieg beglichen, der 1990 mit einer Generalamnestie endete, die Doueiri in Interviews als schweren Fehler und „Generalamnesie“ kritisiert.

Immer tiefer taucht das Drama „Der Affront“ in die jüngere Geschichte Libanons ein. Der Film wird mehr und mehr zum Geschichts-Unterricht und zum Appell, die Verbrechen des Bürgerkriegs nicht länger zu verdrängen, da erst dann eine Versöhnung möglich ist, wenn die Taten klar benannt und die Schuldigen ermittelt sind. Wie schon sein vorheriger Film „The Attack“ (nach einem Roman von Yasmina Khedra) ist auch „Der Affront“ künstlerisch nur durchschnittlich, aber politisch brisant und informativ.

In seinem pathetischen Ton, der um Versöhnung wirbt, war „Der Affront“ 2018 auch ein Kandidat für den Oscar als bester ausländischer Film, kam in die Endrunde der letzten 5, zog aber gegen das chilenische Transgender-Drama „Una mujer fantástica“ den Kürzeren. Bereits bei der Filmpremiere in Venedig im September 2017 wurde Kamel El Basha, ein palästinensischer Theater-Schauspieler und Regisseur, für seine Darstellung des Yasser als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet.

„Der Affront“ startete am 25. Oktober 2018 in den Kinos.

Bilder: © Alpenrepublik

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