Leto

„Leto“ ist ein sehr persönlicher Film und eine Hommage an rebellische Künstler, die sich Anfang der 1980er Jahre, noch mitten in der bleiernen Breschnew-Ära, im damaligen Leningrad/heutigen Sankt Petersburg, kennenlernten.

Kirill Serebrennikow erzählt in seinem Musik-Drama von einer klassischen Dreieckesgeschichte aus der Sicht der einzigen Überlebenden, nämlich von Natalia Naumenko (gespielt von Irina Starshenbaum): sie stand zwischen zwei Männern und Rockstars, die mit ihren Hymnen den Zeitgeist der „Perestroika“-Jahre prägten, in Russland verehrt wurden, hierzulande aber fast völlig unbekannt sind. Im Zentrum des Films stehen die beiden Musiker Viktor Zoi (verkörpert von Teo Yeo) und Mike Naumenko (verkörpert von Roman Zver), die 1990 bzw. 1991 ums Leben kamen.

Dem russischen Regisseur, der im Theater und in der Oper ebenso erfolgreich ist wie im Kino, ging es weniger darum, eine stringente Geschichte zu erzählen, als vielmehr eine Hommage an eine Gruppe von Künstlern und ihr Lebensgefühl zu filmen. „Leto“ ist ein Manifest für die Freiheit der Kunst, die Serebrennikow mitten während der Dreharbeiten genommen wurde. Seit Mai 2017 steht er unter Hausarrest, kann seine Arbeit nur unter schwersten Bedingungen fortsetzen und muss sich gegen äußerst dubiose, offensichtlich politisch motivierte Anschuldigungen vor Gericht verantworten.

„Leto“ schwelgt in der Musik: in den Songs von „Zoopark“ und „Kino“, den Bands der beiden Protagonisten aus dem Sowjet-Underground, aber auch in den Evergreens westlicher Pop-Ikonen wie David Bowie oder Iggy Pop, die ihre Kollegen hinter dem Eisernen Vorhang inspirierten. In seinen hingetupften kurzen Episoden und in seiner starken Fokussierung auf die Musikerszene mit ihren Konzerten ist „Leto“ vor allem für Freunde des Musikfilm-Genres empfehlenswert.

Serebrennikow gelangen in diesem Film aber auch einige der schönsten und witzigsten Szenen des Kinojahres: das triste Schwarz-Weiß, das er in diesem Film ansonsten konsequent durchhält, lockert er in wenigen Momenten auf. Mitten im Alltagstrott beginnen die Insassen einer Tram, die „Passenger“-Hymne anzustimmen. Mit Trickfilm-Überblendungen wird diese surreale Szene noch stärker von der restlichen Filmsprache abgegrenzt. Später löst sich die Düsternis einer Szene im Lebensfreude versprühenden „Perfect Day“ von Lou Reed auf. Aus dem Grau der Straßen Leningrads sticht das knallige Rot des Mantels einer älteren Frau auf dem Heimweg hervor.

Diese Momente der Freiheit und des Glücks stellt Serebrennikow konsequent gegen die russische Realität – damals im Sowjet-Zeitalter und heute unter Putins autoritärer Herrschaft, die den Künstlern ebenfalls kaum Luft zur freien Entfaltung lässt.

Bilder: © Hype Film Kinovista 2018

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