Drei Schwestern

Zwei Regie-Ideen prägen Karin Henkels „Drei Schwestern“-Inszenierung am Deutschen Theater Berlin: die eine hebt den Abend aus dem Einerlei der Tschechow-Adaptionen heraus, die andere hinterlässt nur Stirnrunzeln.

Beginnen wir mit dem Positiven: es war ein Besetzungscoup von Karin Henkel, die Rolle der Irina auf Benjamin Lillie und Angela Winkler aufzuteilen. Mit ihren völlig verschiedenen Spielstilen markieren sie Irinas Veränderungsprozess. Im Prolog stehen beide gemeinsam auf der gekippten Bühne (Nina von Mechow) und bewegen ihre Lippen zum Playback ihrer Stimmen. Die Fassung der „Drei Schwestern nach Tschechow“, die Karin Henkel gemeinsam mit ihrem Dramaturgen John von Düffel entwickelte, beginnt mit einer melancholischen Rückschau der alternden Irina auf ihr verpatztes, ungelebtes Leben. Die Sehnsucht „Nach Moskau! Nach Moskau!“ ist endgültig zerplatzt.

Nach diesem Prolog zieht sich Angela Winkler für fast zwei Stunden zurück und taucht erst zum finalen Akt wieder auf. Das Feld beackert nun Benjamin Lillie als kapriziös nölende, in Unschulds-Weiß gekleidete, hysterisch begeisterungsfähige Teenagerin Irina, die immer wieder mit kieksender Stimme von der Zukunft in der russischen Metropole schwärmt. Henkel/von Düffel bleiben recht nah bei Tschechow: manches wird gestrafft, pointiert, etwas flapsig übersetzt, aber das Gerüst des Klassikers ist klar erkennbar. Statt Fremdtext-Einschüben bekommen wir tatsächlich die berühmten Tschechow-Passagen, in denen die Figuren über ihr ungelebtes Leben und ihre Glücksvorstellungen räsonieren. Angesichts des Untertitels „nach Tschechow“ war auch eine Veralberung des Stoffs, die sich sehr frei bei Motiven bedient, zu befürchten gewesen.

Höhepunkt des Abends ist, als Angela Winkler im vierten Akt zurück ins Rampenlicht kommt. Abwechselnd, teilweise auch gleichzeitig verkörpern sie und Lillie nun wieder die Irina. Die melancholische Ernsthaftigkeit und die Aura von Winklers Bühenpräsenenz ergänzt sich treffend mit der Hibbeligkeit Lillies. Irina, die jüngste der „Drei Schwestern“, die sich in den ersten drei Akten am stärksten gegen den Alltagstrott in der Provinz auflehnt, hat kapituliert und ist bereit, sich in eine Vernunftehe mit dem Baron Tusenbach (ebenfalls Benjamin Lillie) zu fügen. Bei Tschechow stirbt Tusenbach in einem Duell, um seine gekränkte Ehre wiederherzustellen, bei Henkel nimmt er sich selbst das Leben.

Die Verpflichtung Angela Winklers, die aus dem legendären Schaubühnen-Ensemble der 1970er Jahre am Halleschen Ufer von Peter Stein stammt, weckt natürlich sofort Assoziationen an die berühmteste Berliner „Drei Schwestern“-Inszenierungen mit ihrem naturalistischen Birkengeruch. Davon ist Karin Henkel weit entfernt, sie setzt auf zeitgenössische Sprache und die Videotechnik von Voxi Bärenklau statt historisch-psychologischer Einfühlungskunst. Im Duo mit dem begabten DT-Jungstar Lillie bildet Winkler hier eine Achse, die diesen Abend rettet.

Diese Achse lässt über die große Schwäche des Abends, die zweite Regie-Idee von Henkel, hinwegsehen: Henkel besetzt alle drei Schwestern mit Männern, die hauptsächlich Frauenrollen spielen, aber auch mehrfach kurz heraustreten und die männlichen Nebenrollen übernehmen: neben der Irina sind dies die unglücklich verheiratete, ganz in Schwarz gewandete Mascha von Michael Goldberg und die strenge Lehrerin Olga des Bernd Moss. Aus dieser Cross-Gender-Besetzung der „Drei Schwestern“ folgt aber nichts. Dass die Schwestern von drei Männern besetzt werden, verpufft wirkungslos. Die Travestie hat keinen nachhaltigen Verfremdungseffekt, wird auch nicht für Komik genutzt, sondern ist einfach nur ein verschenktes Stilmittel. Es bleibt unklar, was die Regisseurin mit dieser Besetzung bezwecken wollte. Diese Beliebigkeit schadet der Inszenierung und wird nur durch den zweiten Regie-Einfall von Henkels Konzept wettgemacht.

Bilder: Arno Declair

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