Lakonisch und in ruhigen Einstellungen erzählt „Wildlife“ vom Auseinanderbrechen einer amerikanischen Familie im Montana der 1960er Jahre. Bemerkenswert ist dieser Film vor allem wegen der Neuentdeckung von zwei Talenten.
Zum einen ist hier der junge Australier Ed Oxenbould zu nennen, der in seiner ersten großen Kinorolle den Teenager Joe Brinson verkörpert. Mit wachen, zunächst neugierig-offenen, dann immer besorgteren Augen verfolgt er das Scheitern der Ehe seiner Eltern. Oxenbould spielt den Jungen als erstaunlich reifen, aufmerksamen Beobachter. Mit seinem Mittelscheitel und seiner schlaksigen Statur wirkt er tatsächlich wie eine jüngere Kopie von Paul Dano, wie der Festival-Filmpate Jochen Laube (Produzent von u.a. „In den Gängen“) bei seiner Einführung bemerkte.
Damit wären wir bei der zweiten Entdeckung dieses Abends beim „Around the world in 14 films“-Festival in der Kulturbrauerei: Dass Dano einer der spannendsten jungen US-Schauspieler ist, hat er in den vergangenen Jahren in Filmen wie „Little Miss Sunshine“, „There will be blood“ und „Prisoners“ bereits mehrfach bewiesen. Seit „Wildlife“ wissen wir, dass er auch ein begabter Regisseur ist. Es ist überraschend, wie präzise Dano es bei seinem Regie-Debüt versteht, sein Kammerspiel-Ensemble aus den beiden arrivierten Stars Jake Gyllenhaal (Vater Jerry Brinson) und Carey Mulligan (Mutter Jeanette Brinson) und dem Newcomer Oxenbould zu orchestrieren.
Der Film lebt vor allem von den kleinen Gesten und Blicken. In präzise konstruierten, sich immer wieder neu zusammenfindenden Dreieckskonstellationen erzählt Dano, wie zunächst der Vater daran scheitert, die klassischen Rollenerwartungen des Patriarchats auszufüllen und sich deshalb zu einem Brand-Löschkommando in die Wälder flüchtet. Daraufhin bricht auch die Mutter langsam aus dem engen, für sie vorgesehenen Korsett als Hausfrau am Herd aus und sucht sich nicht nur einen Job, sondern auch einen wesentlich älteren Liebhaber.
Als die Familie zerbrochen ist und Jeanette zu einem Wochenend-Besuch zu ihrem Ex-Mann und ihrem Sohn zurückkehrt, ist es der Teenager Joe, der am erwachsensten und souveränsten agiert. Seine beiden verkrampft lächelnden Eltern arrangiert er zu einem letzten Bild vor der Fotokamera, das genauso präzise choreographiert ist wie der gesamte Film.
Dano schrieb das Drehbuch gemeinsam mit seiner Partnerin Zoe Kazan (Enkelin von Regie-Legende Elia Kazan) nach dem gleichnamigen, weniger bekannten Roman von Richard Ford (1990), der auf Deutsch unter dem Titel „Wild leben“ erschien und in dem ausnahmsweise seine Lieblingsfigur, der Sportreporter und Immobilienmakler Frank Bascombe, nicht der zentrale Protagonist ist.
Nach der Premiere im Sundance-Wettbewerb im Januar 2018 durfte Dano mit „Wildlife“ im Mai die „Semaine de la Critique“ in Cannes eröffnen. Wer die Aufführung beim „14films“-Festival verpasst hat, sollte sich den 11. April 2019 als Kinostart dieses sehenswerten Indie-Films vormerken.
Bild: © IFC Films