Die Präsidentinnen

„Nicht aufführbar“, lautete das harsche Verdikt der Dramaturgie des ehrwürdigen Wiener Burgtheaters im Dezember 1989 über Werner Schwabs eingesandtes Manuskript. Dieses Fehlurteil bescheinigte dem Grazer Autor „mangelndes Sprachvermögen“ und eine „obszöne Phantasie“.

Immerhin an einem Punkt liegt dieser Verriss richtig: für zartbesaitete Gemüter ist dieses „Fakäliendrama“ nicht zu empfehlen. Erna und Grete werfen sich Boshaftigkeiten an den Kopf und schrecken auch vor ordinärer Gossensprache nicht zurück. An ihrer Seite sitzt das fleißige Mariedl, die nur nur dann aufblüht, wenn sie in allen Details schildert, wie sie ohne Handschuhe in verstopfte Toilettenabflussrohre greifen und zwischen Kot, Papier und Konservendosen wühlen darf.

„Mangelndes Sprachvermögen“ kann man Schwab beileibe nicht vorwerfen. Im Gegenteil: die Dialoge, die von Burg-Dramaturgie als „primitiv realistisch“ abqualifiziert wurde, sind so treffsicher, dass sie das reservierte hanseatische Publikum auch dreißig Jahre später zum Lachen bringen.

Den Siegeszug der „Präsidentinnen“ konnte die Ablehnung zum Glück nur verzögern, nicht aufhalten: Sie wurden zwar nicht auf der wichtigsten Bühne der Alpenrepublik, sondern nach einigen Lesungen in Graz nur im Wiener Künstlerhaustheater uraufgeführt. Anfang der 1990er Jahre wurde Werner Schwab einer der Shooting-Stars der Theaterszene, die großen Häuser rissen sich um seine Texte. Den späten Ruhm konnte der rastlose Schwab nicht genießen und starb in der Silvesternacht 1993.

Noch heute sind die „Präsidentinnen“ sein bekanntestes Stück: eine bitterböse Groteske, durch die Papst Johannes Paul II. in der verfremdeten Gestalt eines Metzgermeisters spukt. Ganz unschuldig wird Bundespräsident Kurt Waldheim von den drei Frauen in ihrer Kleinbürgerhölle bei jeder Gelegenheit als moralische Instanz angeführt, ganz so als ob es die Debatte um seine NS-Verstrickung nie gegeben hätte.

Schwabs Farce ist nicht nur glänzend gebaut mit gut geölter Dialogmaschinerie, sondern liefert auch exzellentes Schauspielerinnenfutter. Es ist eine Freude, Ute Hannig, Bettina Stuck und Lina Beckmann dabei zuzuhören und zuzusehen, wie sie sich über ihr verkorkstes Leben beklagen, in dem eine weggeworfene Pelzmütze oder ein Farbfernseher rare Höhepunkte sind, wie sie sich in ihre Phantasien hineinsteigern und schließlich nicht nur verbal zerfleischen.

Das starke Frauen-Trio verkörpert grotesk überzeichnete Figuren: Ute Hannig gibt die streng katholische, sich selbst kasteiende, verkrampfte Erna, eine Figur, wie sie auch Ulrich Seidl knapp zwanzig Jahre später in „Paradies: Glaube“ porträtierte. Bettina Stucky sitzt breitbeinig als Grete daneben. Sie war schon immer eine „Lustige“, wirft ihr Erna als vergiftetes Kompliment vor. Außer ihrem Schoßhund hat sie niemand in ihrem Leben, ist genauso einsam wie die ständig vor sich hin seufzende Erna, redet sich aber immer noch ein, dass sie eine unwiderstehliche erotische Anziehungskraft hat. Die dritte im Bunde ist Lina Beckmann als Mariedl, ein sehr einfach gestricktes Gemüt, die vom Leben nicht mehr erwartet, als dass sie den Dreck anderer Leute abräumen darf.

Kernstück des Abends ist die Dreifach-Phantasie eines Dorffestes: mit glühenden Wangen und glänzenden Augen steigern sich die Drei in ihre Illusionen hinein, wie aufregend ihre Zukunft werden könnte. Sie rutschen nervös auf ihren Stühlen herum, fallen sich gegenseitig ins Wort und vergessen einige Momente das schäbige, verqualmte Loch, in dem sie unter Abflussrohren hausen (Bühne: Ildi Tihanyi). Ausgerechnet Mariedl ist es, die den beiden anderen ihre Illusionen wie Luftballons platzen lässt und muss dafür sterben.

Der ungarische Regisseur Viktor Bodo vertraut ganz auf die Stärke des Textes und seiner drei Spielerinnen und bietet im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses einen unterhaltsamen,  handwerklich tadellosen Abend, der mit Getrampel und „Zugabe“-Rufen belohnt wurde. Dass der Regisseur keine eigenen Akzente setzte, fällt deshalb weniger ins Gewicht.

Bilder: Thomas Aurin

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