Theatertreffen-Eröffnung 2024

An einem Frühsommerabend, der fast zu schön und verlockend war, um ihn in einer dunklen Höhle zu verbringen, eröffnete das 61. Theatertreffen im Haus der Berliner Festspiele. Gastgeber Matthias Pees ergriff als erster das Wort. Nach seinem ersten Auftritt als neuer Intendant, den er im vergangenen Jahr zur Irritation der Festspiel-Gemeinde auf einer Obstkiste vor dem Haus absolvierte, trug er diesmal ganz klassisch eine Ansprache vom Rednerpult vor. Ausgehend von Jerusalem als Schauplatz des Eröffnungsstücks „Nathan der Weise“ streifte er mehrere Themen, nahm immer wieder Bezug auf die Massaker vom 7. Oktober 2023 und berichtete von eigenen Erfahrungen vor Ort. Damit wirkte seine Rede authentischer als der Beitrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die sich an abgedroschenen Phrasen wie den „Brettern, die die Welt bedeuten“ und mit Lessing-Zitaten garnierten Appellen für mehr Humanismus und gegen Antisemitismus entlang durch ein Grußwort hangelte, das recht lieblos geschrieben war und auch von ChatGPT stammen könnte. Kurz fasste sich die neue Festival-Chefin Nora Hertlein-Hull, die nach einem glücklosen Quartett nun wieder allein verantwortlich ist, mit launigen Anekdoten, wie sie das Theatertreffen schon in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder begleitete.

Dann übernahm ein alter Bekannter: Ulrich Rasche, in den Jahren 2017-2019 3x in Serie nach Berlin eingeladen. Die Maschinen-Ungetüme waren so wichtig, dass seine erste – und neben „Perser“ meiner Meinung nach beste – Inszenierung die Bühnentechnik und Disposition an die Grenzen der Verzweiflung trieb. Seine „Räuber“ konnten 2017 nur als Stream gezeigt werden.

Nach mehreren Jahren tt-Pause, in denen es um Rasche etwas stiller geworden ist, meldete er sich zur Eröffnung des 2024er Jahrgangs mit einem anderen Klassiker zurück: Lessings „Nathan der Weise“, das um die klassische Ringparabel herum gebaut und ein Fanal der Aufklärung ist. Nur 8x wurde diese Inszenierung während der Salzburger Festspiele auf der idyllischen Perner-Insel in Hallein im vergangenen Sommer gespielt und nun in Wilmersdorf mit den vereinten Kräften der Festspiel-Hochleistungsbetriebe wiederaufgenommen.

Ungewöhnlich leise Töne schlägt Rasche im „Nathan“ an, die Live-Musiker*innen begleiten das fast vierstündige Geschehen mit einem Hintergrundrauschen, das im Gegensatz zu den früheren Rasche-Inszenierungen sehr zurückgenommen wirkt. Der Abend lässt seinen Protagonist*innen ungewöhnlich viel Raum: vor allem Valery Tscheplanowa in der Titel-Hosenrolle und Mehmet Atesçi mit raubtierhafter Eleganz haben große Auftritte auf der Drehbühne. Eine weitere Hauptrolle übernimmt das Lichtdesign, das den langen Abend zwischen gleißenden Scheinwerfern und düster-antisemitischer Pogromstimmung in unzähligen Schattierungen prägt.

Ein Gewinn für die Aufführung waren die links und rechts mitlaufenden englischen Übertitel: hier wurden die erschreckend antisemitischen Zitate von Denkern der Aufklärung wie Voltaire und Fichte ihren Urhebern eindeutig zugewiesen, die Namen, die in der deutschen Bühnenfassung nie fallen, sondern nur im Programmheft, wurden explizit in der englischen Übersetzung in Klammern genannt.

Kein allzu hohes Vertrauen in die Kraft der Aufklärung hat Rasches „Nathan der Weise“: statt des etwas an den Haaren herbeigezogenen Happy-ends im Original lässt er seine Inszenierung kurz vor Mitternacht mit resignierten Hilferufen von Tscheplanowa ausklingen, die leise verhallen.

Zu dem Zeitpunkt hängt dann nicht nur die Schulklasse aus Radebeul, die Hertlein-Hull besonders begrüßte, erschöpft in den Seilen.

Wesentlich kürzer und kompakter war die zweite Eröffnungs-Inszenierung aus der 10er-Auswahl, die parallel wenige Kilometer weiter westlich gezeigt wurde. Falk Richter und sein Solo-Protagonist Dimitrij Schaad konfrontieren sich und das Publikum in ihrer sehenswerten „The Silence“-Arbeit mit der Homophobie und den unaufgearbeiteten Traumata der bundesrepublikanischen Nachkriegs-Jahrzehnte.

In den kommenden zweieinhalb Wochen folgen die nächsten acht Inszenierungen der 10er-Auswahl und ein diesmal recht schmales Rahmenprogramm, da Festivalleitung und Dramaturgie erst seit wenigen Monaten im Amt sind.

Bild: Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

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