Hool

Adrian Figueroa ist auf Berliner Bühnen der Spezialist für junge Männer am Rand der Gesellschaft, die nicht wissen, wohin mit ihrer aufgestauten Wut und überschüssigen Kraft. Vor einem Jahr entwarf er am HAU 3 das Porträt junger Straftäter: „Stress“ wurde dort gerade wiederaufgenommen.

Deshalb ist es eine naheliegende Wahl, dass er für das Deutsche Theater Berlin in der Box Philipp Winklers „Hool“ adaptiert: ein Romandebüt, das 2016 einschlug, mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde und es sofort auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis schaffte. Schon ein Jahr später war „Hool“ 2x auf der Bühne zu sehen, beide Inszenierungen wurden auf Nachtkritik positiv besprochen: Lars-Ole Walburgs Uraufführungs-Ko-Produktion des Schauspiels Hannover mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen und die Kölner Inszenierung von Nuran David Calis.

Im Mittelpunkt des Buchs steht Heiko, der bei den Hooligans von Hannover 96 nach der Ersatzfamilie suchte, die er bei seinem Alkoholiker-Vater und seiner Mutter, die dieses Elend früh hinter sich ließ, vermisste. Figueroa inszeniert Heikos Geschichte als Puzzle mit einem achtfachen Heiko auf sonst fast leerer Bühne. Heiko wird gespielt von vier Kindern des Jungen DT (Liou Kleemann, Loris Sichrovsky sowie Friedrich und Oscar von Schönfels) und vier Erwachsenen. Neben den DT-Ensemble-Mitgliedern Christoph Franken, Jeremy Mockridge und Caner Sunar wurde Sascha Göpel als Gast mit der spannendsten, fußballaffinsten Biographie für „Hool“ verpflichtet: er kickte in den Jugend-Mannschaften von Rot-Weiß Essen und durchlief mehrere DFB-Nachwuchslehrgänge, 2004 durfte er das Idol „Aus dem Hintergrund müsste…“- Helmut Rahn in Sönke Wortmanns Kinohit „Wunder von Bern“ spielen.

Bei Hooligans auf der Bühne vermutet man Schlägereien, harte Wortgefechte, Punchlines und Biergeruch, auf jeden Fall pures Adrenalin. Deshalb ist der Zugang von Figueroa überraschend: wie schon in „Stress“ setzt er vor allem auf lange, sehr ruhig gesprochene Monologe. „Hool“ hat unerwartet viele sehr stille Momente. Im Zentrum steht nicht die Wut von Heiko und seinen Kumpels, die nach und nach entweder die Kurve kriegten oder derart krankenhausreif geschlagen wurden, dass sie sich eines Besseren besannen. Im Mittelpunkt steht die Tristesse von Heikos Leben, aus der er flieht, „die ganze Trostlosigkeit der hier gezeichneten Testosteronwelt“, die Julia Encke bei ihrer FAS-Rezension über eine Lesung aus Philipp Winklers Roman beeindruckte.

Fast wie Fremdkörper wirken deshalb die kurzen Momente, in denen die laute Gewalt in diesen sonst so leisen Abend hineinbricht: die Video-Einspieler von Adrian und Philipp Figueroa, die hektisch im Hintergrund flackern, die kurzen Schlachtrufe, die das Ensemble in seinen schwarzen Hoodies grölt, und die Stand-Up-Einlage von Mockridge, der wie auf Speed einen aufgekratzten Sportreporter parodiert, tagesaktuell und fachkundig die Champions League-Achtelfinal-Auslosung kommentiert und zum einzigen Mal das Publikum einbezieht.

Der hoffnungsvolle Gegenpol zu dieser düsteren Geschichte ist die Schluss-Szene: die Erwachsenen holen die Kinder zurück auf die Bühne, nehmen sie in den Arm, schenken ihnen ihre Hoodies und nehmen sie zum ersten Mal mit ins Stadion. Ein schöner Neubeginn? Oder landen auch die Kinder wie Heiko bei den Hooligans, ihren Kampfhunden und ihrer Perspektivlosigkeit?

Bilder: Arno Declair

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