Penthesilea

Schon Goethe hielt Heinrich von Kleists Tragödie über zwei mythologische Figuren aus dem Trojanischen Krieg, die sich im Liebes-Rausch in einander verkeilen und gemeinsam untergehen, für unspielbar. Mehr Lese- als Handlungsdrama, voller Botenberichte und seitenlanger Beschreibungen ist die „Penthesilea“ eine Herausforderung für jeden Regisseur.

Johan Simons, seit wenigen Monaten neuer Intendant des Bochumer Schauspielhauses, entschied sich mit seinem Dramaturgen Vasco Boenisch für eine noch radikalere Reduktion, als wir sie 2015 bei Michael Thalheimers Frankfurter Inszenierung erlebten, die er mit ans Berliner Ensemble brachte: Bei Thalheimer wurden die rasende, blutverschmierte Penthesilea (Constanze Becker) und der getötete Achill (Felix Rech) noch von einer dritten Spielerin (Josefin Platt) flankiert, die für die Botenberichte und die zahlreichen kleineren Rollen zuständig war. Simons/Boenisch haben gleich das komplette Nebenpersonal inklusive aller Berater*innen gestrichen, die auf Achill und Penthesilea einreden und sie an die gesellschaftlichen Normen und ihre tradierten Geschlechterrollen erinnern.

In der Bochumer Textfassung, die als Koproduktion bereits im Sommer bei den Salzburger Festspielen Premiere hatte, sind Achill (Jens Harzer) und Penthesilea (Sandra Hüller) ganz auf sich gestellt. Sie sprechen nicht nur den Text, den Kleist ihnen zugedacht hat, sondern auch noch Fragmente aus den Botenberichten und Dialogen mit Dritten. Statt der Reduktion aufs Wesentliche und klarerer Konturen des zentralen Konflikts tritt das Gegenteil ein: die beiden Hauptfiguren ächzen unter einer Last von Textungetümen. In pausenlosen zwei Stunden werfen sie sich die Textbrocken an den Kopf.

Erstaunlich statisch tragen Hüller und Harzer, beide Schauspieler*innen des Jahres aus der Salzburg angemessenen Champions League, ihren Konflikt aus: mehr Duell als Duett und weit entfernt von der Wucht, die Thalheimers „Penthesilea“ auszeichnete.

Nina von Melchow, die für ihre Zusammenarbeit mit Bert Neumann und René Pollesch bekannt ist, schuf für die beiden Spieler*innen androgyne Kostüme. Die Röcke von Harzer und Hüller sind eine spannende Setzung, aus der die Inszenierung von Johan Simons zu wenig macht. Antje Rávik Strubel schlägt in ihrem lesenswerten Programmheft-Essay interessante Schneisen durch den Gender-Diskurs mit vielen interessanten Beobachtungen zu den beiden Hauptfiguren. Auf der Bühne werden diese Fährten zu wenig verfolgt und gehen in den Textbergen unter.

Bilder: Monika Rittershaus


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