Westend

Mit seinem neuen Stück „Westend“ möchte uns Moritz Rinke den Spiegel vorhalten. Bei „Westend“ denken Berliner natürlich sofort an das gutsituierte Viertel in Charlottenburg: Lebensqualität im Grünen, wohlgeordnete, übersichtliche Verhältnisse, bildungsbürgerlich, aber noch nicht ganz so elitär-entrückt wie der Grunewald. Das ist die Welt des Schönheitschirurgen Eduard (Ulrich Matthes) und seiner Frau Charlotte, einer mit sich und ihrer Kunst hadernden Sopranistin (Anja Schneider).

Die beiden zogen von der Bleibteustraße in der City-West in eine Villa, die Möbel lassen aber noch auf sich warten. Diese Steilvorlage nutzt der eitle Eduard, der ständig mit Instagram-Postings des „Ostflügels“ protzt und damit nicht nur seine bodenständigere Gattin nervt, zu Stammtisch-Parolen-Ausfällen gegen die russische Spedition.

Über drei Stunden wird hier überdeutlich ausgespinselt, was uns Rinke vorführen will: die hohlen Fassaden bürgerlichen Wohlstands, Akademiker, die es sich in ihren Lebenslügen bequem gemacht haben und sich und ihre Partner betrügen. Das sind klassische Motive von Boulevard-Tragikomödien über das Scheitern bürgerlicher Strukturen und Paarbeziehungen, denen „Westend“ aber keine neuen Facetten abgewinnen kann. Viel Altbekanntes wird in den drei Stunden variiert, zu vordergründig und banal bleibt der Text.

Ein weiterer Wink mit dem Zaunpfahl sind die Namen des „Westend“-Paares: Eduard und Charlotte, so heißen auch die Hauptfiguren in Goethes Roman „Wahlverwandtschaften“, auf den Rinke immer wieder deutlich anspielt. Es ist schnell absehbar, dass die Ehe in einem Scherbenhaufen endet. Eduard bändelt mit der jungen Studentin Lilly (Linn Reusse) an und Charlotte betrügt ihn schon seit Jahren mit dem gemeinsamen Studienfreund Michael (Paul Grill). Als Katalysatoren des Desasters haben der Regisseur Marek (Andreas Pietschmann) und seine Lebensgefährtin, die exaltierte Möchtegern-Schauspielerin Eleonora (Birgit Unterweger), Kurzauftritte in der zweiten Hälfte.

Der bereits erwähnte Michael bringt schließlich die zweite Bedeutungsebene des Titels „Westend“ ins Spiel: das Ende der westlichen Welt, wie wir sie kennen. Als klischeehafter Gegenpol zum Schönheitschirurgen Eduard verbrachte er die vergangenen Jahre im humanitären Einsatz mit „Ärzte ohne Grenzen“ in Libyen und Afghanistan. Michael ist eine fleischgewordene Anklage und das schlechte Gewissen auf zwei Beinen. Er wirft dem Westen vor, am Fundamentalismus und weiteren Übeln Schuld zu sein.

Trotz exzellenter Schauspieler ist das Feuerwerk, das Lilly kurz vor Schluss abbrennt, das Einzige, was an diesem zu langen Abend zündet. Stephan Kimmig hielt sich bei seiner Regie dieser Uraufführung, wie André Mumot im Deutschlandradio anmerkte, freundlich zurück und setzte keine eigenen Akzente, mit denen aus der zu holzschnittartigen Stückvorlage noch ein guter Abend hätte werden können.

Bilder: Arno Declair


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