Marat/Sade

Ein eindrucksvolles Gegensatzpaar stellte Tina Lanik ins Zentrum ihrer Spielzeiteröffnungs-Inszenierung am Münchner Residenztheater: Hier der apathisch in der Ecke dösende, mit einem hässlichen Fatsuit aufgeschwemmte Marquis de Sade (Charlotte Schwab), der nur selten zum Leben erwacht und dann zynisch-verbitterte Kommentare von sich gibt. Dort ein hibbeliger, ständig zwischen seiner Badewanne und der Bühne hin- und her-springender, athletisch-trainierter Jean Paul Marat (Nils Strunk), der die sozialrevolutionären Ideale der Französischen Revolution hochhält, obwohl die Zeichen der Zeit längst auf Restauration stehen.

Um die Streitgespräche zwischen den beiden Antagonisten hat Lanik ihren Abend mit schnellen Schnitten in einem Drehbühnen-Labyrinth (Stefan Hageneier) gebaut. Den modernen Klassiker „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charleston unter Anleitung des Herrn de Sade“, eines der meistgespielten Stücke der 1960er und 1970er Jahre, reicherten die Regisseurin und ihre Dramaturgin Andrea Koschwitz mit einer Reihe von O-Tönen aus den Notizen und Briefwechseln von Peter Weiss an.

Der resignative Grundton dieser Notizen über die Welt als „Irrenhaus“ durchzieht den Abend, der im Halbdunkel beginnt und konsequenterweise ebenso düster nach der Inthronisation Napoleons im Schwarz versinkt. Als zottelige Zombies in Unterhosen deklamiert und rappt sich das Chor-Trio Joachim Nimtz, Wolfram Rupperti und Götz Schulte durch den Abend. Gemeinsam mit dem Ausrufer (Michele Cuciuffo) kommentieren sie das Geschehen.

In Erinnerung bleibt von dieser weniger als zwei Stunden kurzen, wegen ihres schnellen Tempos jedoch hohe Konzentration erfordernden Aufführnung vor allem der Monolog von Marat, mit dem er das Publikum kurz vor Schluss ein letztes Mal zu agitieren versucht, obwohl die Revolution längst auf der Verliererstraße ist. Dieser Monolog wird seit der Premiere, die in der heißen Phase vor der Landtagswahl in Bayern stattfand, tagesaktuell fortgeschrieben: angefeuert von einem Zwischenrufer in der letzten Reihe schlägt Strunk einen kabarettistischen Bogen von den französischen Gelbwesten über Horst Seehofer, um den es nach dem Dauerfeuer gegen Angela Merkel und der Maaten-Affäre stiller geworden ist, und die Papaya-Koalition zwischen CSU und Freien Wählern bis zur Relotius/SPIEGEL-Affäre schlägt.

Bilder: Matthias Horn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert